Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wiedergeburt

Die Wiedergeburt

Titel: Die Wiedergeburt
Autoren: Brigitte Melzer
Vom Netzwerk:
als sich vor ihr eine Gestalt aus dem Nebel schälte. Ein riesiger Kerl, dessen Schatten über die Gasse fiel und auf der anderen Seite an der Hauswand emporkroch. Der Riese kam ihr entgegen! Sie fürchtete schon, sie wäre im Kreis gelaufen und stehe nun vor ihrem Jäger, doch sie hörte die raschen Schritte ihres Verfolgers noch immer durch die Dunkelheit hallen.
    »Mädel«, sagte der Riese mit schwerer Zunge, als er an ihr vorbeitaumelte, »sieh zu, dass du nach Hause kommst, bevor der Schlächter dich holt!«
    Sie hätte ihm sagen können, dass es keinen Wahnsinnigen Schlächter mehr gab, ihn nie gegeben hatte, doch das hätte ihr der Mann ohnehin nicht geglaubt. Deshalb nickte sie nur und ließ ihn passieren. Sie wollte schon weiter, als sie sah, wie er nach einer Tür tastete und, als diese mit einem Knarren aufschwang, im Inneren eines Hauses verschwand. Zwei schnelle Schritte, dann war Alexandra an der Tür und fing sie auf, ehe sie ins Schloss fallen konnte. Sie hielt sie fest und wartete, bis drinnen die schlurfenden Schritte des betrunkenen Riesen verhallten. Dann schlüpfte sie ins Haus. Hinter der Tür blieb sie stehen, schob ihre Fußspitze in den Türspalt und sah durch die schmale Öffnung auf die Straße. Ihr Blick fiel auf eine Laterne an der gegenüberliegenden Hauswand, die ihr gedämpftes Licht zu ihrem Versteck sandte. Es war jedoch zu spät, sich nach einem anderen Unterschlupf umzusehen, denn in diesem Augenblick tauchte ihr Verfolger auf. Noch konnte sie ihn nicht sehen, doch sie vernahm seine Schritte, die für einen Moment verklangen, ehe sie erneut zu hören waren. Er kam in ihre Richtung. Wenn sie die Tür schloss, wäre sie außer Gefahr. Er konnte sie nicht sehen – sie ihn allerdings auch nicht. Sie musste aber wissen, wer ihr folgte! Langsam zog sie ihren Fuß ein Stück zurück und verkleinerte den Türspalt, bis sie nur noch einen winzigen Straßenausschnitt einsehen konnte. Das musste genügen. Die Schritte näherten sich. Ein Schatten schob sich über das Straßenpflaster, dann kam er in Sichtweite. Sie hätte schwören können, dass es einer der Jäger war, der ihr folgte. Den schlanken Mann, den sie stattdessen erblickte, hatte sie jedoch nie zuvor gesehen. Seine Züge strahlten eine Gelassenheit aus, die Alexandra überraschte. Regen tropfte von seinem Dreispitz, das blonde Haar darunter war im Nacken zu einem Zopf geflochten. Trotz des Regens hatte er seinen Mantel nicht zur Gänze zugeknöpft. Darunter offenbarte sich ihr der Anblick eines Gehrocks aus grünem Samt. Seine Hose und die Stiefel waren nass, aber sauber und muteten ebenso teuer an wie der Rest seiner Gewänder. Die Augen auf die Gasse gerichtet, schritt er flink und entschlossen voran. Ungeachtet seiner edlen Gewänder bewegte er sich, als gehöre er hierher. Dieser Mann wusste, wie man sich unauffällig verhielt. Eine gefährliche Sorte! Wieder und wieder ließ Alexandra ihren Blick über seine Gewänder wandern, suchte nach verborgenen Waffen, doch so sehr sie sich auch bemühte, wollte es ihr nicht gelingen, verdächtige Ausbuchtungen auszumachen. Wer war dieser Kerl?
    Sie wartete, bis er ihr Versteck passiert hatte, dann zählte sie bis zwanzig, ehe sie die Tür aufzog und in die Gasse spähte. Der Nebel hüllte ihn ein wie ein Mantel, ließ seine Umrisse verblassen und verschlang ihn bald ganz. Alexandra trat aus dem Hauseingang und folgte ihm. Obwohl sie einen Moment lang fürchtete, er wäre stehen geblieben, verklang der gedämpfte Hall seiner Schritte nicht. Der Blonde bewegte sich mit derartiger Zielstrebigkeit voran, dass sie sich zu fragen begann, ob er tatsächlich hinter ihr her war oder sie sich alles nur einbildete. Vielleicht haben mich die Jahre übervorsichtig werden lassen und ich sehe Gespenster. Sie dachte schon daran, sich zurückzuziehen, als ihr bewusst wurde, dass sie sich nicht mehr beobachtet fühlte. Beinahe im selben Augenblick verhallten seine Schritte. Lauerte er ihr doch im Nebel auf? Alexandra hielt inne. Nicht der geringste Laut drang an ihr Ohr. Sie griff unter ihren Mantel und legte die Hand an ihre Pistole. Langsam und beinahe lautlos schob sie sich voran und hielt Ausschau nach dem Blonden. Er stand an einer Wegkreuzung, keine zwanzig Fuß vor ihr. Alexandra wich in den Schatten eines Hauseingangs zurück und tastete nach der Klinke in ihrem Rücken. Die Tür war verschlossen, sodass ihr keine andere Wahl blieb, als sich eng an die Wand zu drängen und zu hoffen, dass er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher