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Die Widmung: Roman (German Edition)

Die Widmung: Roman (German Edition)

Titel: Die Widmung: Roman (German Edition)
Autoren: Brunonia Barry
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ziemlich häufig vorkam, ließ sie ihre Sitzungen auch schon mal bei einem Spaziergang am Fluss stattfinden. Sie bezeichnete das dann als Laufmeditation und erzählte den Patienten, sie könnten sich leichter öffnen, wenn sie nicht Matteis bohrenden Blick auf sich ruhen spürten. Eine Woche nachdem sie angefangen hatte, ihre Sitzungen auf diese Weise abzuhalten, ging jeder Seelenklempner in Boston mit Patienten spazieren.
    »Oh Gott, nicht schon wieder akute Agoraphobie.« Auch das war ein typischer Witz von Mattei. Fünfzig Prozent ihrer Patienten litten zu einem gewissen Grad an der Angst vor freien Plätzen, ein Phänomen, das die Chancen auf ein persönliches Erscheinen der Patienten deutlich minderte und das Mattei nun veranlasst hatte, die anderthalbfache Gebühr für ausgefallene Termine zu berechnen. Zee verlangte allerdings nur selten von ihren Patienten, sich nach dieser neuen Regel zu richten.
    Mattei bemühte sich heute mehr als sonst, sie zum Lachen zu bringen, Zee runzelte also wahrscheinlich wieder die Stirn. Zees angeborener Gesichtsausdruck schien in einem Stirnrunzeln zu bestehen, das andere Leute zum Witzeerzählen anregte, häufig sogar völlig Fremde, die alle naselang den Drang verspürten, sie irgendwie aufzumuntern. Erst diesen Morgen war ein älterer Herr, der es versäumt hatte, die Hinterlassenschaft seines Hundes am Louisburg Square zu entsorgen, auf sie zugekommen und hatte sie aufgefordert zu lächeln.
    Sie starrte ihn an.
    »So schlimm kann es doch nicht sein«, meinte er.
    Wäre er nicht älter als ihr Vater gewesen, hätte Zee ihm geantwortet, er solle sich verziehen, das sei nun einmal ihr normaler Gesichtsausdruck, und einen Mann, der die Exkremente seines Hundes nicht aufhob, sollte man sowieso nicht frei herumlaufen lassen. Stattdessen gelang ihr die Andeutung eines gezwungenen Lächelns.
    »Aber im Ernst mal, welchen Patienten hättest du jetzt?« Mattei wartete auf eine Antwort.
    »Lilly Braedon.«
    »Mrs. Perfect also«, sagte sie. »Ach, Unsinn, hatte ich ganz vergessen, das bist ja du.«
    »Noch nicht«, sagte Zee ein wenig zu rasch.
    »Aha!«, sagte Mattei. »Klare Sache. Der Fall ist abgeschlossen. Das macht dann dreihundertfünfzig Dollar.«
    »Sehr witzig«, meinte Zee, während Mattei ihre Laufschuhe aufhob und aus dem Zimmer ging.
    Ursprünglich war es Lilly Braedons Ehemann gewesen, der sich hilfesuchend an Dr. Mattei gewandt hatte. Die Leute kamen aus der ganzen Welt, um sich von ihr behandeln zu lassen. Mattei, Harvard-Absolventin mit einem kurzen Aufenthalt an der John Hopkins, hatte als Psychiaterin die besten Referenzen. Sie hatte den maßgeblichen Artikel über Bipolare Störungen in Verbindung mit Panikzuständen für das American Journal of Psychiatry geschrieben. Sie hatte auch eng mit einem Team von Genforschern zusammengearbeitet, die eine Verbindung zwischen der Krankheit und dem achtzehnten Chromosom festgestellt hatten, eine bahnbrechende Entdeckung.
    Doch dann nahm Matteis Karriere einen anderen Lauf. Sie begann sich für eine populärere Herangehensweise an die Psychiatrie zu interessieren. Das Buch, das sie in ihrem zehnten Jahr der Berufspraxis schrieb, der populärwissenschaftliche Ratgeber Sicher zu Hause , machte sie berühmt. Das Buch war inspiriert von einem Ersatzspieler der Red Sox, den sie erfolgreich wegen seiner Panikattacken behandelt hatte. Ihre praktischen Lösungen für seine Ängste basierten auf der Biofeedback-Methode, Desensibilisierung und Sense Memory.
    »Die Welt ist ein beängstigender Ort«, erklärte Mattei erst einem Lokalsender und später Oprah. »Ich zeige Ihnen, was sie tun können, damit Sie keine Angst mehr haben.« In dem Buch wurden lauter Sinnesspiele empfohlen, Tipps, die manchmal zu simpel waren, um sonderlich glaubwürdig zu wirken: einen Handschmeichler mitnehmen, an Lavendel riechen, tief einatmen. Auf der Begleit- CD gab es geführte Meditationen, mal mit Musik, mal mit Naturklängen oder Gedichten. Sogar eine alte irische Weisheit wurde darauf zitiert (die sinngemäß aussagt, man brauche sich über gar nichts Sorgen zu machen, denn schlimmstenfalls würde man in die Hölle kommen, dort seien aber sowieso schon sämtliche Freunde, also müsse man sich gar nicht aufregen). Mattei war zwar eine lockere Mischung aus französischen, italienischen und japanischen Vorfahren und hatte keinen Tropfen irischen Bluts in sich, aber aus unerfindlichen Gründen schätzte sie alles Irische. Vielleicht war das irgendwie
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