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Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns
Autoren: Alan Weisman
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und unsere Erde zu Asche verbrennt?
    Und könnten wir selbst danach irgendeine schwache, überdauernde Spur im Universum hinterlassen, ein letztes Nachglühen, ein Echo der irdischen Menschheit, ein interplanetarisches Zeichen, dass wir hier waren?
     
    Um eine Ahnung davon zu bekommen, wie die Welt ohne uns sein wird, müssen wir unter anderem die Welt betrachten, wie sie vor uns war. Nun sind wir keine Zeitreisenden, und die fossilen Funde liefern nur ein lückenhaftes Bild. Doch selbst wenn diese Funde keine Lücken aufwiesen, wäre die Zukunft kein perfektes Spiegelbild der Vergangenheit. Schließlich haben wir einige Arten so gründlich ausgerottet, dass sie – oder ihre DNS – wohl keine Chance auf Wiedergeburt haben. Da unser Handeln teils unwiderrufliche Folgen hat, wird der Planet nach unserem Fortgang nicht derselbe sein, der entstanden wäre, wenn wir uns nie entwickelt hätten.
    Vielleicht wäre er aber auch nicht gar so verschieden. Die Natur hat in der Vergangenheit schon immer Verluste erlitten und die leeren Nischen wieder aufgefüllt. Selbst heute gibt es noch ein paar irdische Flecken, wo wir mit allen Sinnen ein lebendiges Echo jenes Paradieses wahrnehmen können, das der Planet vor unserer Ankunft darstellte.
    Wenn wir schon träumen, warum dann nicht auch davon, wie die Natur zu ihrem Recht kommen könnte, ohne dass wir abtreten müssten? Schließlich sind auch wir nur Säugetiere. Jede Lebensform trägt zu dem bunten, vielgestaltigen Erscheinungsbild der Erde bei. Könnte dann nicht unser Verschwinden den Planeten auch ein Stück ärmer machen? Wäre es denkbar, dass die Erde, statt einen tiefen Seufzer der Erleichterung auszustoßen, uns ein bisschen vermissen würde?

1    Ein Echo des Paradieses
     
    Vielleicht haben Sie noch nie von der Puszcza Bialowieska gehört. Doch wenn Sie irgendwo in dem gemäßigten Klimastreifen aufgewachsen sind, der große Teile von Nordamerika, Japan, Korea, China, Russland, etlichen ehemaligen Sowjetrepubliken, der Türkei sowie Ost- und Westeuropa mit den britischen Inseln umfasst, wird diese Landschaft eine vage Erinnerung in Ihnen wecken.
    Puszcza ist ein altes polnisches Wort, das »Wildnis« oder »Urwald« bedeutet. Zu beiden Seiten der polnischweißrussischen Grenze gelegen, enthält dieses 1500 Quadratkilometer umfassende Gebiet den letzten intakten Flachlandurwald Europas. Denken Sie an den geheimnisvollnebligen Wald, der sich vor Ihrem inneren Auge auf tat, wenn Ihnen jemand in der Kindheit Grimms Märchen vorlas. Hier ragen Eschen und Linden fast fünfzig Meter empor und beschatten mit ihren mächtigen Wipfeln ein feuchtes, undurchdringliches Unterholz von Hainbuchen, Farnen, Grauerlen und Pilzen mit tellergroßen Hüten. Eichen, auf denen sich das Moos eines halben Jahrtausends versammelt, nehmen so imposante Ausmaße an, dass Buntspechte ihre Fichtenzapfen in die tiefen Risse der acht Zentimeter starken Rinde klemmen können. Über dem Wald liegt schwer und kühl eine Stille, die nur selten vom Krächzen eines Tannenhähers, dem leisen Ruf eines Kauzes oder dem Heulen eines Wolfs unterbrochen wird.
    Aus den Tiefen des Waldes dringt der Duft des Moders, der sich seit unvordenklichen Zeiten angesammelt hat, und ruft dem Besucher den Ursprung aller Fruchtbarkeit ins Gedächtnis. In diesem Urwald verdankt das Leben seine ganze Fülle all dem, was tot ist. Fast ein Viertel der organischen Masse oberhalb des Erdbodens befindet sich in unterschiedlichen Stadien des Zerfalls – mehr als hundert Kubikmeter verfaulender Baumstämme und Äste pro Hektar, von denen sich Tausende von Arten ernähren, Pilze, Flechten, Borkenkäfer, Maden und Mikroorganismen, die man in den ordentlichen, bewirtschafteten Forsten, die wir üblicherweise als Wälder bezeichnen, vergebens sucht.
    Alle diese Arten füllen nach ihrem Tod die Speisekammer des Waldes, aus der sich Wiesel, Baummarder, Waschbären, Dachse, Otter, Füchse, Luchse, Wölfe, Rehe, Elche und Adler ernähren. Hier treffen wir mehr Arten an als irgendwo sonst auf dem europäischen Kontinent – obwohl es keine schützenden Berge oder Täler gibt, um besondere Nischen zu bilden. Der Bialoweza---Urwald ist nichts anderes als ein Rest eines Waldgebietes, das sich einst im Osten bis Sibirien und im Westen bis Irland erstreckte.
    Dass mitten in Europa ein Stück biologisches Altertum in so ursprünglicher Form erhalten blieb, ist einem besonderen Umstand zu verdanken. Im 14. Jahrhundert erklärte der litauische
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