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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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verlieh den Umrissen der Natur eine bizarre Klarheit. Die Trommler kehrten zum Dorf zurück. Es waren jetzt nur noch Frauen am Fluß. Sie hatten in einer Schale ein Feuer entfacht, in das Kräuter und Blütenblätter geworfen wurden. Ein sanfter, betörender Duft machte sich in der feuchten Nachtluft breit. Nicht mehr der dumpfe Klang der Trommeln versetzte mich jetzt in ein Hochgefühl, sondern das schnelle Klatschen der Frauenhände.
    Mammy Ama bestreute die Totenpuppe, die Victor darstellte, mit Erde und wusch sie ausgiebig wieder sauber. Unablässig unterhielt sie sich mit der Puppe. Sie wiederholte den Vorgang mit Gin, den sie darüber schüttete und wieder abwusch. Schließlich stieg sie ins Wasser und forderte mich auf, zu ihr zu kommen. Sie gab mir die kleine Holzpuppe, die immer noch die teure Goldkette umgebunden trug. Schnaps und Sand hatten die weiße Farbe der Puppe verklebt und zerkratzt. Sie schien regelrecht gealtert zu sein.
    „Mammy Water wird ihm Frieden geben“, sagte die Priesterin,
    „verabschiede dich und laß ihn dann los.“
    Ich drückte Victor an meine Brust, küßte ihn und ließ das Püppchen ins Wasser gleiten. Das an dieser Stelle flache, schnell fließende Wasser zog es davon. Ein paar Sekunden lang blitzte das weiße Holz noch vom Mondlicht beschienen im dunklen Wasser, ritt fröhlich auf den kleinen Wellen. Dann war es verschwunden.
    Als ich wieder aus dem Fluß stieg, klatschten die jungen Mädchen begeistert und forderten mich zu einem gemeinsamen Tanz um die Feuerschale auf. Während wir ausgelassen mehr sprangen als tanzten, begann Mammy Ama die zweite Puppe herzurichten. Sie klebte rote Blütenblätter mit Wasser auf die mir gewidmete Puppe, die meinen „Glücksbringer“ trug. Dann nahm sie einen Schluck Palmwein, den sie fauchend über das Püppchen spuckte. Die Mädchen ergriffen meine Hände, und wir tanzten zusammen in den Fluß. Mammy Ama hielt meine Puppe diesmal selbst und redete ernst auf sie ein. Ohne Vorwarnung ließ sie sie los, und die Puppe nahm daraufhin den gleichen Weg wie die Victor geweihte Figur.
    Wir sahen ihr eine Weile nach. Die kleinen Strudel spielten mit ihr, drehten sie im Kreis. Schließlich bewegte sich mein afrikanisches Alter ego davon - direkt in ein paar Mangrovenwurzeln ein gutes Stück flußab hinein, wo es hängenblieb, ohne unterzugehen.
    „Das ist gut“, kommentierte Mammy Ama.
    Gemeinsam mit den anderen Mädchen zog sie mich in die Mitte des Flusses, wo das Wasser wesentlich tiefer war. Ich stand bis zum Hals in den dunklen Fluten. Ohne jede Angst legte ich mich ins Wasser, paddelte mit den Armen. Es kam mir fast vor, als kraulte ich. Ich trieb an meinem Püppchen mit den erloschenen Augen vorbei, ließ es hinter mir zurück. Mein Gott, ich schwamm! Ich tauchte unter, drehte mich um meine eigene Achse. Ich, die ich noch nie geschwommen war, weil mich meine Angst immer gehindert hatte! Ich fühlte mich wohl wie die Fische im Wasser, die mein Sternzeichen sind.
    Irgendwann stießen meine Füße gegen Hindernisse, stemmten sich dagegen; ich richtete mich auf. Erstaunt sah ich mich um. Ich war allein, hatte die Frauen hinter der Flußbiegung zurückgelassen.
    Tropfnaß stapfte ich an Land. In mir überwog Verwunderung, UnVerständnis darüber, daß ich in diesem Wasser geschwommen war.
    Schwer atmend setzte ich mich ans Ufer und sinnierte vor mich hin, ohne jedoch einen klaren Gedanken fassen zu können. Mein Kopf war leer und leicht. Die warme Nachtluft trocknete das dünne Tuch auf meinem Körper. Ewig hätte ich so dasitzen und dem Gurgeln des Wassers lauschen können. Es klang vertraut und beruhigend.

    Als wäre ich noch darin. Schwerelos treibend, ohne Widerstände.
    Ohne etwas beeinflussen zu müssen.
    Ich stand auf, warf das inzwischen trockene Tuch von mir und tauchte wieder in den Fluß. Ich sprang herum, spritzte mit dem Wasser, jubelte wie ein kleines Kind! Irgendwann kehrte ich zu den Frauen zurück. Wir gingen zum Tempel, und ich durfte schlafen.
    Am nächsten Mittag nahm Mammy Ama mich sanft in die Arme, und ich fühlte mich geborgen. Sie band mir eine dünne Kette aus geflochtenen Fäden mit einer kleinen Muschel als Amulett um den Hals und drückte mir ein Säckchen in die Hand. „Streu den Sand auf den Fensterrahmen und die Schwelle des Zimmers, in dem du schläfst. Dann wird dir nichts passieren. Aber bleibe nicht mehr zu lang im Land des Leoparden. Er findet sonst einen Weg, dich zu töten“, schärfte sie mir
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