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Die Wand

Titel: Die Wand
Autoren: Marlen Haushofer
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Geschirr vom Tisch und hängte die Kleidungsstücke in den Kasten; als ich damit fertig war, setzte ich mich auf die Hausbank in die Sonne. Es war ein schöner warmer Tag, und nach dem Wetterbericht sollte es auch heiter bleiben. Die Sonne stand schräg über den Fichten und mußte bald sinken. Das Jagdhaus liegt in einem kleinen Kessel, am Ende einer Schlucht, unter steil aufsteigenden Bergen.
    Während ich so saß und die letzte Wärme auf dem Gesicht spürte, sah ich Luchs zurückkommen. Wahrscheinlich hatte er Luise nicht gehorcht, und sie hatte ihn zur Strafe zurückgeschickt. Ich konnte sehen, daß sie ihn gescholten hatte. Er kam zu mir, sah mich bekümmert an und legte den Kopf auf meine Knie. So blieben wir eine Weile sitzen. Ich streichelte Luchs und redete ihm tröstend zu, denn ich wußte ja, daß Luise den Hund ganz falsch behandelte.
    Als die Sonne hinter den Fichten verschwand, wurde es kühl, und bläuliche Schatten fielen in die Lichtung ein.Ich ging mit Luchs ins Haus, heizte den großen Herd und fing an, eine Art Reisfleisch zu bereiten. Ich hätte es natürlich nicht tun müssen, aber ich war selbst hungrig, und ich wußte, daß Hugo ein richtiges, warmes Nachtmahl vorzog.
    Um sieben Uhr waren meine Gastgeber noch nicht zurück. Das war auch fast nicht möglich, ich rechnete damit, daß sie vor halb neun nicht kommen würden. So fütterte ich den Hund, aß meinen Teil vom Reisfleisch und las schließlich im Schein der Petroleumlampe die Zeitungen, die Hugo mitgebracht hatte. In der Wärme und Stille wurde ich schläfrig. Luchs hatte sich ins Ofenloch zurückgezogen und schnaufte leise und zufrieden vor sich hin. Um neun Uhr beschloß ich, zu Bett zu gehen. Ich versperrte die Tür und nahm den Schlüssel mit mir in meine Kammer. Ich war so müde, daß ich trotz der feuchtkalten Steppdecke sofort einschlief.
    Ich erwachte davon, daß die Sonne auf mein Gesicht fiel, und erinnerte mich sofort an den vergangenen Abend. Da wir nur einen Hüttenschlüssel mithatten, der zweite lag beim Jäger, hätten Luise und Hugo mich bei ihrer Rückkehr wecken müssen. Im Schlafrock rannte ich die Stiege hinunter und sperrte die Eingangstür auf. Luchs empfing mich ungeduldig winselnd und wischte an mir vorbei ins Freie. Ich ging ins Schlafzimmer, obgleich ich sicher war, dort keinen Menschen zu finden, das Fenster war ja vergittert, und selbst durch ein unvergittertes Fenster hätte sich Hugo nicht durchzwängen können. Die Betten waren natürlich unberührt.
    Es war acht Uhr; die beiden mußten im Dorf geblieben sein. Ich wunderte mich sehr darüber. Hugo verabscheute die kurzen Wirtshausbetten, und er wäre niemals so rücksichtslos gewesen, mich allein über Nacht im Jagdhaus zurückzulassen. Ich konnte mir nicht erklären,was geschehen war. Ich ging wieder hinauf in meine Schlafkammer und zog mich an. Es war noch sehr kühl, und der Tau glitzerte auf Hugos schwarzem Mercedes. Ich kochte Tee und wärmte mich ein wenig auf, und dann machte ich mich mit Luchs auf den Weg ins Dorf.
    Ich merkte kaum, wie kühl und feucht es in der Schlucht war, weil ich darüber nachgrübelte, was aus den Rüttlingers geworden sein mochte. Vielleicht hatte Hugo einen Herzanfall erlitten. Wie es so geht, im Umgang mit Hypochondern, hatten wir seine Zustände nicht mehr ernst genommen. Ich beschleunigte meine Schritte und schickte Luchs voraus. Freudig bellend, zog er ab. Ich hatte nicht daran gedacht, meine Bergschuhe anzuziehen, und stolperte ungeschickt über die scharfen Steine hinter ihm her.
    Als ich endlich den Ausgang der Schlucht erreichte, hörte ich Luchs schmerzlich und erschrocken jaulen. Ich bog um einen Scheiterstoß, der mir die Aussicht verstellt hatte, und da saß Luchs und heulte. Aus seinem Maul tropfte roter Speichel. Ich beugte mich über ihn und streichelte ihn. Zitternd und winselnd drängte er sich an mich. Er mußte sich in die Zunge gebissen oder einen Zahn angeschlagen haben. Als ich ihn ermunterte, mit mir weiterzugehen, klemmte er den Schwanz ein, stellte sich vor mich und drängte mich mit seinem Körper zurück.
    Ich konnte nicht sehen, was ihn so ängstigte. Die Straße trat an dieser Stelle aus der Schlucht heraus, und so weit ich sie überblicken konnte, lag sie menschenleer und friedlich in der Morgensonne. Unwillig schob ich den Hund zur Seite und ging allein weiter. Zum Glück war ich, durch ihn behindert, langsamer geworden, denn nach wenigen Schritten stieß ich mit der Stirn heftig an und
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