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Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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trat in das Zimmer.
    Sie fand Ottilien angekleidet eingeschlafen, sie ging zurück und winkte Eduarden mit einem teilnehmenden Lächeln.
    Beide traten vor die Schlafende; aber auch diesen Anblick vermochte Eduard nicht auszuhalten.
    Die Wirtin wagte nicht, das ruhende Kind zu wecken, sie setzte sich gegenüber.
    Endlich schlug Ottilie die schönen Augen auf und richtete sich auf ihre Füße.
    Sie lehnt das Frühstück ab, und nun tritt Eduard vor sie.
    Er bittet sie inständig, nur ein Wort zu reden, ihren Willen zu erklären.
    Er wolle allen ihren Willen, schwört er; aber sie schweigt. Nochmals fragt er sie liebevoll und dringend, ob sie ihm angehören wolle.
    Wie lieblich bewegt sie mit niedergeschlagenen Augen ihr Haupt zu einem sanften Nein!
    Er fragt, ob sie nach der Pension wolle.
    Gleichgültig verneint sie das.
    Aber als er fragt, ob er sie zu Charlotten zurückführen dürfe, bejaht sies mit einem getrosten Neigen des Hauptes.
    Er eilt ans Fenster, dem Kutscher Befehle zu geben; aber hinter ihm weg ist sie wie der Blitz zur Stube hinaus, die Treppe hinab in dem Wagen.
    Der Kutscher nimmt den Weg nach dem Schlosse zurück; Eduard folgt zu Pferde in einiger Entfernung.
    Wie höchst überrascht war Charlotte, als sie Ottilien vorfahren und Eduarden zu Pferde sogleich in den Schloßhof hereinsprengen sah!
    Sie eilte bis zur Türschwelle.
    Ottilie steigt aus und nähert sich mit Eduarden.
    Mit Eifer und Gewalt faßt sie die Hände beider Ehegatten, drückt sie zusammen und eilt auf ihr Zimmer.
    Eduard wirft sich Charlotten um den Hals und zerfließt in Tränen; er kann sich nicht erklären, bittet, Geduld mit ihm zu haben, Ottilien beizustehen, ihr zu helfen.
    Charlotte eilt auf Ottiliens Zimmer, und ihr schaudert, da sie hineintritt; es war schon ganz ausgeräumt, nur die leeren Wände standen da.
    Es erschien so weitläufig als unerfreulich.
    Man hatte alles weggetragen, nur das Köfferchen, unschlüssig, wo man es hinstellen sollte, in der Mitte des Zimmers stehengelassen.
    Ottilie lag auf dem Boden, Arm und Haupt über den Koffer gestreckt.
    Charlotte bemüht sich um sie, fragt, was vorgegangen, und erhält keine Antwort.
    Sie läßt ihr Mädchen, das mit Erquickungen kommt, bei Ottilien und eilt zu Eduarden.
    Sie findet ihn im Saal; auch er belehrt sie nicht.
    Er wirft sich vor ihr nieder, er badet ihre Hände in Tränen, er flieht auf sein Zimmer, und als sie ihm nachfolgen will, begegnet ihr der Kammerdiener, der sie aufklärt, soweit er vermag.
    Das übrige denkt sie sich zusammen und dann sogleich mit Entschlossenheit an das, was der Augenblick fordert.
    Ottiliens Zimmer ist aufs baldigste wieder eingerichtet.
    Eduard hat die seinigen angetroffen, bis auf das letzte Papier, wie er sie verlassen.
    Die dreie scheinen sich wieder gegeneinander zu finden, aber Ottilie fährt fort zu schweigen, und Eduard vermag nichts, als seine Gattin um Geduld zu bitten, die ihm selbst zu fehlen scheint.
    Charlotte sendet Boten an Mittlern und an den Major.
    Jener war nicht anzutreffen, dieser kommt.
    Gegen ihn schüttet Eduard sein Herz aus, ihm gesteht er jeden kleinsten Umstand, und so erfährt Charlotte, was begegnet, was die Lage so sonderbar verändert, was die Gemüter aufgeregt.
    Sie spricht aufs liebevollste mit ihrem Gemahl.
    Sie weiß keine andere Bitte zu tun als nur, daß man das Kind gegenwärtig nicht bestürmen möge.
    Eduard fühlt den Wert, die Liebe, die Vernunft seiner Gattin; aber seine Neigung beherrscht ihn ausschließlich.
    Charlotte macht ihm Hoffnung, verspricht ihm, in die Scheidung zu willigen.
    Er traut nicht; er ist so krank, daß ihn Hoffnung und Glaube abwechselnd verlassen; er dringt in Charlotten, sie soll dem Major ihre Hand zusagen; eine Art von wahnsinnigem Unmut hat ihn ergriffen.
    Charlotte, ihn zu besänftigen, ihn zu erhalten, tut, was er fordert.
    Sie sagt dem Major ihre Hand zu auf den Fall, daß Ottilie sich mit Eduarden verbinden wolle, jedoch unter ausdrücklicher Bedingung, daß die beiden Männer für den Augenblick zusammen eine Reise machen.
    Der Major hat für seinen Hof ein auswärtiges Geschäft, und Eduard verspricht, ihn zu begleiten.
    Man macht Anstalten, und man beruhigt sich einigermaßen, indem wenigstens etwas geschieht.
    Unterdessen kann man bemerken, daß Ottilie kaum Speise noch Trank zu sich nimmt, indem sie immerfort bei ihrem Schweigen verharrt.
    Man redet ihr zu, sie wird ängstlich; man unterläßt es.
    Denn haben wir nicht meistenteils die Schwäche,
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