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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder!
Autoren: Bertha von Suttner
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die ganze Bevölkerung mit Stolz erfüllt und in jedem einzelnen die Meinung hervorruft, er sei ein großer Bürger einer großen Zeit.
    Schlechte Eigenschaften, als da sind: Eroberungsgier, Rauflust, Haß, Grausamkeit, Tücke – werden wohl auch als vorhanden und als im Kriege sich offenbarend zugegeben, aber allemal nur beim »Feind«. Dessen Schlechtigkeit liegt am Tage. Ganz abgesehen von der politischen Unvermeidlichkeit des eben unternommenen Feldzuges, sowie abgesehen von den daraus unzweifelhaft erwachsenden patriotischen Vorteilen, ist die Besiegung des Gegners ein moralisches Werk, eine vom Genius der Kultur ausgeführte Züchtigung ... Diese Italiener – welches faule, falsche, sinnliche, leichtsinnige, eitle Volk! Und dieser Louis Napoleon – welcher Ausbund von Ehrsucht und Intrigengeist! Als sein am 29. April publiziertes Kriegsmanifest erschien, mit dem Motto: »Freies Italien bis zum Adriatischen Meer« – rief das einen Sturm der Entrüstung bei uns hervor! Ich erlaubte mir eine schwache Bemerkung, daß dies eigentlich eine uneigennützige und schöne Idee sei, welche für italienische Patrioten begeisternd wirken müsse; aber ich ward schnell zum Schweigen gebracht. An dem Dogma »Louis Napoleon ist ein Bösewicht«, durfte, solange er »der Feind« war, nicht gerüttelt werden; alles, was von ihm ausging, war von vornherein »bösewichterisch«. Noch ein leiser Zweifel stieg in mir auf. In allen geschichtlichen Kriegsberichten hatte ich die Sympathie und die Bewunderung der Erzähler immer für diejenige Partei ausgedrückt gefunden, welche einem fremden Joche sich entringen wollte und welche für die Freiheit kämpfte. Zwar wußte ich mir weder über den Begriff »Joch« noch über den so überschwenglich besungenen Begriff »Freiheit« einen rechten Bescheid zu geben, aber so viel schien mir doch klar: die Jochabschüttelungs- und Freiheitsbestrebung lag diesmal nicht auf österreichischer, sondern auf italienischer Seite. Aber auch für diese schüchtern gedachten und noch schüchterner ausgedrückten Skrupel wurde ich niedergedonnert. Da hatte ich Unselige wieder an einem sakrosankten Grundsatz gerührt, nämlich daß unsere Regierung – d. h. diejenige, unter welcher man zufällig geboren worden – niemals ein Joch, sondern nur einen Segen abgeben könne; daß die von »uns« sich losreißen Wollenden nicht Freiheitskämpen, sondern einfach Rebellen sind, und daß überhaupt und unter allen Umständen »wir« allemal und überall in unserem vollen Rechte sind.
    In den ersten Maitagen – es waren kalte, regnerische Tage zum Glück; sonniges, lenzfrohes Wetter hätte einen noch schmerzlicheren Kontrast bewirkt – marschierte das Regiment ab, welchem Arno sich hatte zuteilen lassen. Um sieben Uhr früh ... ach, die vorhergehende Nacht ... war das eine fürchterliche Nacht! Wäre der Teure auch nur auf eine gefahrlose Geschäftsreise gegangen, die Trennung hätte mich unsäglich traurig gemacht – Scheiden tut ja so weh – aber in den Krieg! Dem Feuerregen der feindlichen Geschütze entgegen! ... Warum konnte ich in jener Nacht bei dem Worte Krieg durchaus nicht mehr dessen erhabene, historische Bedeutung erfassen, sondern nur sein toddrohendes Grausen?
    Arno war eingeschlafen. Ruhig atmend, mit heiterem Gesichtsausdruck lag er da. Ich hatte eine frische Kerze angezündet und hinter einen Schirm gestellt: ich konnte heute nicht im Finstern bleiben. Vom Schlafen war ja für mich ohnehin keine Rede – in dieser letzten Nacht. Da mußte ich ihm wenigstens die ganze Zeit ins liebe Gesicht schauen. In einen Schlafrock gehüllt, lag ich auf unserem Bette; den Ellbogen auf das Kissen, das Kinn in die Handfläche gestützt, blickte ich auf den Schlummernden herab und weinte still ... »Wie lieb – wie lieb ich dich habe, mein Einziger – und du gehst fort von mir ... Warum ist das Schicksal so grausam? Wie werde ich leben ohne dich? Daß du mir nur bald wiederkehrst! O Gott, mein guter Gott, mein barmherziger Vater dort oben – laß ihn bald zurückkommen – ihn und alle ... Laß es bald Frieden sein! ... Warum kann es denn nicht immer Frieden sein? ... Wir waren so glücklich ... zu glücklich wohl ... es darf ja auf Erden kein vollkommenes Glück geben ... O Seligkeit – wenn er unversehrt heimkehrt und dann wieder so an meiner Seite liegt und für den kommenden Morgen kein Abschied droht ... Wie er ruhig schläft – o du mein tapferer Schatz! Aber wie wirst du dort schlafen? Da gibt es
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