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Die volle Wahrheit

Die volle Wahrheit

Titel: Die volle Wahrheit
Autoren: Terry Pratchett
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Eroberer nicht wussten, an welche Fenster sie kleine Steine werfen mussten.
    Anschließend stapften Colon und Nobbs durch den Schneematsch zum Wassertor, das dem Fluss Ankh Gelegenheit gab, die Stadt zu erreichen. Das Wasser blieb im Dunkeln verborgen, aber dann und wann zeichneten sich unter der Brüstung die geisterhaften Konturen einer Eisscholle ab.
    »Warte mal«, sagte Nobby, als sie nach der Winde des Fallgatters griffen. »Da unten ist jemand.«
»Im Fluss?«, fragte Colon.
    Er lauschte. Tief unten knarrte ein Ruder.
    Feldwebel Colon wölbte die Hände trichterförmig vor dem Mund und hob die Stimme zum traditionellen Polizistenruf:
    »He! Du!«
    Einige Sekunden lang hörte man nur das Seufzen des Winds und plätscherndes Wasser. Schließlich erwiderte eine Stimme: »Ja?«
»Willst du die Stadt erobern, oder was?«
    Wieder folgte kurze Stille. Dann:
»Was?«
»Was was?«, erhöhte Colon den Einsatz.
»Wie lauten die anderen Möglichkeiten?«
»Versuch nicht, mich an der Nase herumzuführen. Willst du, dort unten im Boot, diese Stadt erobern?«
    »Nein.«
    »Gut«, sagte Colon. In einer solchen Nacht war er durchaus bereit, sich auf das Wort eines Unbekannten zu verlassen. »Dann beeil dich, wir wollen nämlich das Gatter herablassen.«
    Kurze Zeit später ertönte wieder das Platschen der Ruder und verschwand flussabwärts.
    »Glaubst du wirklich, es genügt, einfach zu fragen ?«, ließ sich Nobby vernehmen.
    »Die Fremden sollten doch wissen, was sie wollen, oder?«, erwiderte Colon.
    »Ja, aber…«
    »Es war nur ein kleines Ruderboot, Nobby. Wenn du all die eisverkrusteten Stufen an der Landungsbrücke hinuntergehen willst…«
»Nein, Feldwebel.«
    »Dann lass uns zum Wachhaus zurückkehren.«
    William klappte den Kragen hoch, als er zum Graveur Kratzgut eilte. Die normalerweise verkehrsreichen Straßen waren leer; wer sich jetzt draußen aufhielt, musste irgendwelche dringenden Dinge erledigen. Alles deutete darauf hin, dass ein ziemlich scheußlicher Winter bevorstand, ein Gazpacho aus kaltem Nebel, Schnee und dem für AnkhMorpork typischen, überall präsenten Smog.
    Bei der Uhrmachergilde bemerkte William einen matten Lichtschein. Eine kleine Gestalt mit hochgezogenen Schultern zeichnete sich in dem Glühen ab.
    Er trat näher.
    »Heißes Würstchen?«, erklang eine hoffnungslose Stimme. »Mit Brötchen?«
    »Herr Schnapper?«, fragte William.
    Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper, Ankh-Morporks unternehmungslustigster und erfolglosester Geschäftsmann, blickte über seinen Bauchladen hinweg. Schneeflocken fielen zischend in gerinnendes Öl.
    William seufzte. »Du bist noch spät auf den Beinen, Herr Schnapper«, sagte er.
    »Ach, Herr Worde, die Zeiten sind schlecht im Würstchengeschäft«, klagte Schnapper.
    »Du läufst Gefahr, vom Fleisch zu fallen, wie?«, fragte William. Selbst für hundert Dollar und eine Schiffsladung Feigen hätte er nicht auf diese Bemerkung verzichtet.
    »Der Lebensmittelmarkt ist in eine Krise geraten«, sagte Schnapper und nahm die Anspielung nicht zur Kenntnis. »Heutzutage scheint niemand mehr Interesse an einem heißen Würstchen zu haben.«
    William sah auf den Bauchladen hinab. Wenn Treibe-mich-selbst-inden-Ruin Schnapper heiße Würstchen verkaufte, so war das ein sicheres Zeichen dafür, dass eins seiner ehrgeizigeren Unternehmen zu einem Fiasko geführt hatte. Der Verkauf von heißen Würstchen stellte gewissermaßen Schnappers ökonomische Basis dar, die er immer wieder zu verlassen versuchte – und zu der er zurückkehrte, sobald er mit seinem neuesten geschäftlichen Wagnis scheiterte. Eins musste man Schnapper lassen: Er verstand es ausgezeichnet, heiße Würstchen zu verkaufen. Bei der Art seiner Würstchen brauchte er großes Verkaufstalent.
    »Wenn ich doch nur eine richtige Bildung hätte, so wie du«, sagte
    Schnapper niedergeschlagen. »Eine angenehme Arbeit daheim, ohne schwere Dinge heben zu müssen. Mit einer guten Bildung hätte ich bestimmt eine Nitsche für mich gefunden.«
    »Nitsche?«
    »Ein Zauberer hat mir davon erzählt«, erklärte Schnapper. »Jeder hat eine Nitsche. Du weißt schon, einen eigenen Platz. Eine Bestimmung.«
William nickte. Mit Worten kannte er sich aus. »Nische?«, fragte er.
    »Was in der Art, ja.« Schnapper seufzte. »Das mit den Semaphoren habe ich verpasst. Hab’s einfach nicht kommen sehen. Plötzlich hatte jeder eine eigene Nachrichtengesellschaft. Alle wollten ordentlich Geld scheffeln, und da blieb für
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