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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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andere entscheiden«, sagte Augustin kühl.
    Gerlin Metzeler blieb einen Augenblick stumm vor Entsetzen, dann schien alle Kraft aus ihr zu weichen. »Und jetzt?«, flüsterte sie. »Was geschieht jetzt mit mir?«
    »Das wird ein Gericht entscheiden, und ich hoffe, das Urteil wird hart und gerecht ausfallen«, sagte Augustin.
    Doch Agnes Imhoff gebot ihm mit einer rüden Handbewegung Einhalt. »Nichts wird geschehen«, verfügte sie. »Es wird keinen Prozess mehr geben, werter Schwiegersohn. Genug Leid hat mein verfluchter Mann bereits verursacht.«
    »Aber Mutter!«, warf Sophie ein. »Sie ist eine Mörderin!«
    »Gewiss, das ist sie. Und genau deshalb gebe ich ihr drei Tage Zeit, Köln für immer zu verlassen. Tut sie das nicht, übereignen wir sie dem Arm der Justiz.« Agnes stand auf und wandte sich zum Gehen. Ihre zusammengesunkene Cousine würdigte sie keines weiteren Blickes. »Gerlin wird mit ihrer Schuld leben müssen«, fuhr sie fort. »Andreas hat das bekommen, was er verdient, und sie wird bis an ihr Lebensende daran erinnert werden, dass sie den Mann umgebracht hat, den sie liebte. Das ist Strafe genug.«
    Agnes Imhoff öffnete die Tür, und von draußen drangen die fröhlichen Klänge der Musikanten zu ihnen herein. Gelächter war zu hören, Hochrufe, irgendwo fiel klirrend ein Glas zu Boden.
    »Kommt jetzt«, sagte Agnes bestimmt. »Das Leben findet dort draußen statt. Hier ist nur der Tod.«
    Zu dritt begaben sie sich zur Tür der Schreibstube und ließen eine gebrochene Frau zurück. Gerlin Metzeler lag noch immer zitternd am Boden. Beinahe lautlos die Lippen bewegend, starrte sie hinüber zum Feuer. Was sie sagte, glich einer gemurmelten Zauberformel, es war nicht mehr als ein Flüstern, das vom Knistern der Glut übertönt wurde.
    Nur ein einziges Wort war deutlich zu verstehen.
    »Andreas …«

EPILOG

    M an schrieb den 3. März des Jahres 2009. Ein milchig grauer Himmel hing über dem Kölner Severinviertel und sandte trotz des nahenden Frühlings nur trübes Winterlicht durch die Fenster des Stadtarchivs, in dem Michael Metzeler seinen Dienst versah – als Hüter von über fünfundsechzigtausend Urkunden, fünfundzwanzig Regalkilometern Akten, hunderttausend Karten und Plänen sowie achthundert Nachlässen und Sammlungen. Seit einem Vierteljahrhundert arbeitete er hier schon, stets in demselben kleinen Büro im dritten Stock, in das nur ein paar Schränke, ein Schreibtisch und ein Drehstuhl passten. Doch er hatte sich noch nie über die Enge seines Arbeitsplatzes beklagt, so wenig wie über das regnerische Wetter, das fast jedes Jahr von November bis April in Köln herrschte. Er liebte seinen Beruf, nicht weniger als seine Frau, und die Abgeschiedenheit seines Büros half ihm ebenso wie das winterliche Grau in Grau vor den Fenstern, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, statt sich durch Dinge ablenken zu lassen, die der Beschäftigung nicht wert waren.
    Ja, Michael Metzeler liebte seinen Beruf, das Archiv war das Gedächtnis der Stadt, und er war stolz darauf, Teil dieses Gedächtnisses zu sein. Aber nur selten hatte er sich so sehr in seinem Element gefühlt wie an diesem Dienstagmorgen. Ein Berliner Literaturverlag hatte ihm ein Manuskript zur wissenschaftlichen Überprüfung anvertraut, einen Roman, in dem von einem Fall berichtet wurde, der vor einem halben Jahrtausend die ganze Stadt in Atem gehalten hatte. Eine gewisse Agnes Imhoff, Witwe eines reichen Tuchhändlers, war per Gerichtsbeschluss zur Herausgabe ihres gesamten Vermögens gezwungen worden, um die Schulden ihres unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommenen Mannes zu begleichen. Michael Metzeler hatte den Auftrag eher lustlos angenommen – historische Romane waren in der Regel mehr Dichtung als Wahrheit, und er war ein Mann der Wissenschaft. Doch bei der Lektüre war er auf eine Frau gestoßen, Gerlin Metzeler, die nicht nur denselben Nachnamen trug wie er selbst, sondern die sich als jene geheimnisvolle Vorfahrin seiner Familie erwies, von der auf Hochzeiten, Geburtstagen und Beerdigungen im Kreis seiner Verwandtschaft selbst heute noch manchmal raunend die Rede war.
    Was für eine seltsame Entdeckung! Ungläubig blickte Michael Metzeler auf das Manuskript in seinen Händen. Bis jetzt hatte er immer gedacht, Gerlin Metzeler sei eine Fantasiegestalt, eine Familienlegende, mit der einige seiner Verwandten sich wichtig machen wollten … Und jetzt stellte sich heraus, dass es diese Frau nicht nur tatsächlich gegeben
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