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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen
Autoren: Berndt Schulz
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Posten von drei Beiräten zu besetzen waren. Rosenthal verstand die Aufregung sogar. Beiräte hatten das Recht, kostenlos auf dem Gelände des Klosters zu wohnen. Ein Privileg, wenn man bedachte, dass sie, wie weiland die Mönche, dann auch das Anrecht auf eine geregelte Zuteilung Riesling der Staatsdomäne besaßen. Und zu Weihnachten erhielt jeder Angestellte ein Päckchen mit den weithin berühmten Eltviller Würsten.
    Rosenthal riss sich zusammen. Er blickte in die Runde. Vierzehn Augenpaare starrten zurück. Er seufzte. Worauf wartest du, dachte er, nun mach doch schon, damit du nach Hause kommst. Er stellte sich Maria in ihrem Festtagskleid vor, das so schneeweiß war, als wollte sie noch einmal heiraten. Sie würde ihm erzählen, wie das Konzert mit Beethovens Fünfter gewesen war.
    »Herr Rosenthal?«, drang die Stimme des Sekretärs zu ihm. Der Mann hatte sich vorgebeugt und blickte seinen Chef wie einen Kranken an. Gleich würde er ihm den Puls fühlen. »Herr Rosenthal, können wir anfangen? Ich muss noch nach Wiesbaden.«
    »Ja und, es ist doch erst acht und bis halb zehn bleibt es hell«, sagte jemand schnell.
    Rosenthal vertrieb den Wust lästiger Gedanken mit einer Handbewegung. »Ja, ja«, sagte er leise, »fangen wir an. Ich bin ein bisschen benommen von dem, was uns da in die Quere gekommen ist.«
    »Ich habe hier den Bericht«, sagte der Archäologe. Sein Name war Rosenthal entfallen. »Soll ich kurz vortragen, Herr Rosenthal?«
    Wir haben den schwarzen Kasten geöffnet, und etwas Ungutes wird entweichen, das ist klar, dachte Rosenthal. Es ist besser, wir schließen die Fenster.
    »Soll ich?«
    »Die Fenster schließen?«
    »Nein, anfangen, Herr Rosenthal.«
    »Aber ja! Fangen Sie doch bitte an!«
    »Direkt nach dem Sichten des Grabinhaltes haben wir uns gefragt, wie wir an diese Dinge rankommen, ohne sie zu beschädigen oder gar zu zerstören. Denn wir wissen ja noch nicht, wie alt sie sind. Das ist, wie Sie wissen, das alte Problem der Archäologie. Wir haben eine Lösung gefunden. Wir lassen dieses Pergament, die Kindersachen, die Schatulle mit den Bändern im Grab. Dort, an Ort und Stelle werden ab morgen früh die Kollegen versuchen, die Fundstücke zeitlich zu bestimmen. Was wir hier noch finden werden, wenn wir richtig suchen, das wage ich gar nicht, mir vorzustellen. Das ganze Kloster ist ja ein einziges Grab.«
    Rosenthal fiel der Name des kleinen, rosigen Mannes wieder ein. Kohler-Schmitt, einer, der doppelt ausgesprochen werden wollte. Man hatte ihn im Verband als besonders fähig empfohlen, Rosenthal konnte bis hierhin nur beurteilen, dass er stark schwitzte.
    Bevor Rosenthal auf Kohler-Schmitts Aussagen etwas erwidern konnte, warf Brendenahl ein, dass es zöge. Brendenahl war nicht nur zugempfänglich, sondern auch ein Sprachästhet, er war nach Rosenthals Kenntnis der einzige Sachse, der ständig im Konjunktiv verweilte.
    »Dass es zöge«, lachte die kluge, dünne Sekretärin, hielt sich aber gleich darauf den Mund zu.
    Schließen wir die Münder, hätte Rosenthal sagen wollen, aber er sagte: »Dann schließen wir doch bitte alle Fenster, dann zieht es nicht, die warme Luft bleibt draußen und wir können uns endlich konzentrieren.«
    »Das wäre wünschenswert«, brummte Rosenthals Nachbar, Klosterleiter a.D. Dinslaken. Seine Stimme war rauchgeschwängert.
    Der Archäologe wischte sich mit einem karierten Stofftaschentuch so heftig über das ganze Gesicht, dass sein Standesdünkel verflog. Rosenthal versuchte sich auf das zu konzentrieren, was er sagte.
    »Jedenfalls sind wir jetzt schlauer. Die Besucher sind draußen, wir können also die ganze Nacht arbeiten. Ich bin wirklich begierig zu sehen, was es mit diesen Grabbeigaben auf sich hat. Wenn sich nicht jemand einen üblen Scherz erlaubt hat, sind wir womöglich einer ganz großen Sache auf der Spur.«
    »Ja, und deshalb bitte ich mir aus, dass allergrößte Geheimhaltung herrscht!«, raunzte Dinslaken. »Wir hatten hier schon einmal einen ähnlichen Fall, der liebe Rosenthal wird sich erinnern. Wir fanden vor sechs Jahren die Geburtsurkunde unseres Herrn Gerlach von Nassau. In einer unterirdischen Grabkammer. Und das, nachdem sie sechshundertundfünfzig Jahre verschollen war. Einfach so, wirklich außergewöhnlich. Als das Fernsehen davon Wind bekam, konnten wir nicht mehr in Ruhe arbeiten. Diese Leute denken ja, sie sind mit ihrer neuen Erfindung die Herren der Welt.«
    »Was befindet sich eigentlich unter dem
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