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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen
Autoren: Berndt Schulz
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irre!«
    Mit verächtlicher Sorglosigkeit erwiderte der Mann: »Ich bin irre und Sie sind tot. Was finden Sie erstrebenswerter? Danken Sie Sennsler. Immerhin hat er der verdammten Begine die Urfassung unserer Handschrift abgeluchst. Das immerhin hat er geschafft, und damit wäre alles erledigt gewesen. Aber nein, er wollte sie unbedingt einsacken, der kleine Held, aber so können wir sie nicht verehren.«
    »Wo ist diese Handschrift?«, fragte Velsmann.
    »Haben Sie sie nicht gesehen? Da liegt sie doch, zu Poretes Füßen.«
    Velsmann beugte sich vor. Er erblickte zwei helle Fetzen, wie gegerbte Felle, sauber bearbeitet. Eins der Stücke kam ihm vor wie die Handschrift aus Kloster Eberbach.
    »Zwei Schriften?«, fragte Velsmann. »Vermehrt sich das Teufelszeug?«
    »Es gab von Anfang an zwei«, flüsterte der andere.
    Velsmann suchte beim Reden nach einer Möglichkeit zum Handeln. »Was besagt die zweite Schrift?«
    Der Fremde sprach weiter, wie zu sich selbst. »Es ist leider die ältere. Sie geht auf Porete zurück. Mit dieser unerträglichen, wirren Botschaft!« Er hatte eine verächtliche Miene aufgesetzt. »Wir mussten sie haben, um sie zu vernichten. Es darf nur eine Offenbarung geben, das ist wohl klar, sonst könnte ja jeder kommen, das wäre ja wie im Sommerschlussverkauf. Unser Zeugnis muss das einzige und wahre sein. Natürlich geht es nicht auf Bartholomäus zurück, wie wir gern behaupten. Aber wen kümmert das? Es ist im Jahr 1606 entstanden, als der Komet Halley auftauchte, und wir haben es 1657 mit ein paar Veränderungen weitergeschrieben. Auf der abgezogenen Haut einer Begine. Wirklich, ein Schmuckstück.«
    In Velsmanns Kopf war alles taub. Sie schlachten sich ab, dachte er, die Menschen schlachten sich ab. Was für ein unvorstellbarer Hass! Er drehte den Kopf, um nach Tibor zu sehen. Der Mann bemerkte das und sagte: »Kümmern Sie sich nicht um den Balg. Er ist unwichtig. Eine völlig unbedeutende Nebenfigur. Ich weiß nicht, wie er ins Spiel kommt, aber das ist völlig einerlei.«
    Er weiß nicht, dass es Tibor ist, mein Sohn, dachte Velsmann. Er wusste nicht, ob er daraus Hoffnung schöpfen sollte.
    »Wenn Sie so viel wissen, dann sagen Sie mir, wer den Mord in Fulda begangen hat!«, sagte Velsmann.
    Der Mann deutete mit dem Laut der Waffe auf Sennsler. »Er natürlich.«
    »Dann liefern Sie ihn mir aus. Alles andere geht mich nichts an.«
    Der andere lachte nur. »Er hat es nur in unserem Auftrag getan. Er ist gewissermaßen unschuldig.«
    »Er hat es im Auftrag des LKA getan?«
    »Unsinn«, sagte der Mann ärgerlich. »Die Behörde ist nur ein Anzug, wie andere Anzüge. Wie der Anzug der Glaubenskongregation, von Opus Dei, den Geheimdiensten, den Spionen oder von eingeweihten und moralisch einwandfreien Angestellten in allen Ämtern, die mehr wissen als Sie, Herr Velsmann.«
    »Und wer beging den Mord auf der Loreley im Jahr 1801?«
    »Die da.«
    »Wohl kaum«, sagte Velsmann leise.
    »Eine ihrer Vorgängerinnen. Eine mörderische Schwester, das kann ich Ihnen sagen, rabiat bis zum Anschlag. Eine von den Mächten des Abgrunds, wo die Brut des Fluches wohnt   – wie der Dichter schrieb, der ihr ziemlich nahegekommen ist. Es war eine ziemliche Niederlage für uns.«
    »Und die anderen Morde?«, wollte Velsmann aufs Geratwohl wissen.
    »Wir. Sie. Was macht das.«
    »Wie viele waren es?«
    »Das ist egal, verehrter Herr. Jetzt sind wir am Ende angelangt. Wir haben noch ein Jahr. In dieser Zeit wird nicht mehr viel Blut fließen. Aber dann umso mehr.«
    Velsmann hatte so viele Fragen. Und weil der Mann offenbar in einer Stimmung war, Antworten zu geben, wollte er die Chance nutzen. Aber bevor er zu einer neuen Frage ansetzen konnte, passierte etwas.
    Ein ohrenbetäubender Lärm.
    Die Fenster zerbarsten. Grelle Blitze schossen durch das Zimmer. Dann breitete sich ätzender Nebel aus.
    Blitzgranaten! Rauchbomben!, durchfuhr es Velsmann. Er ließ sich zu Boden fallen.
    SEK! Breitenbach! Zugriff!
    Bevor er bewusstlos wurde, nahm er den Bewaffneten wahr, der in geduckter Haltung aus der Tür in den Flur zu rennen versuchte, seine Sonnenbrille hing ihm quer über das Gesicht.

    Die Mannschaft der von Karen Breitenbach alarmierten Polizei fuhr hinter dem Tross der Ambulanz her. Ein anderer Teil hatte bereits mit der Spurensicherung begonnen. Der Brand war schon nach einer Stunde von den Feuerwehren aus der ganzen Region gelöscht worden. Man hatte das Viertel am Berg großräumig abgesperrt.
    Martin
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