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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen
Autoren: Berndt Schulz
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Da es inzwischen auf Mitternacht zuging, orientierte er sich im gelben Licht der dicht stehenden Straßenlaternen. Hier gab es einen regelrechten Strand. Im hellen Sand standen stille, weiße Vögel und schauten über das spiegelglatte, dunkle Wasser. Oder sie schliefen und schauten in sich hinein. Der Frieden dieses Bildes legte sich auch über die lärmenden Bilder in Velsmanns Kopf. Er schaltete den Motor aus und ließ den Wagen mit der Schnauze zum Wasser stehen.
    Nun gut, dachte er, das ist der erste Tag meines restlichen Lebens. Der erste Tag an der Seite meiner Leute. Er blickte auf seinen Sohn. »Tibor?«
    Sein Sohn war eingeschlafen. Sein Gesicht sah kindlich aus, entspannt, nur die Pflaster darauf wirkten befremdlich.
    So ist es eben, dachte Velsmann. Alles ist irgendwie trügerisch. Und deshalb muss man aufhören, sich um irgendwas zu kümmern. Was gehen mich geheime Orden an. Was gehen mich kämpfende Fanatiker an, die sich um einen Fetzen Papier streiten, der für sie einen Schatz darstellt. Sollen sie sich abschlachten, im Namen von irgendwas und irgendwem. Namen sind egal, Begründungen sind einerlei, es ist sogar gleich, wer recht hat. Kein einziges unserer Probleme wird damit gelöst.
    Es gibt keine Prophezeiungen, kein göttliches Verhängnis. Und wenn einer damit ankommt, hat er falsch gerechnet. Er führt vielleicht alles auf das Jahr 53 zurück, als Bartholomäus starb, aber es beginnt eigentlich erst im Jahr 1310, als Porete starb. Oder so ähnlich oder andersherum. Unser ganzes Leben ist eine einzige Prophezeiung. Was soll der Quatsch.
    Tibor regte sich und stöhnte leise.
    Velsmann nahm sein Handy und wählte eine gespeicherte Nummer. »Wir müssen in Zukunft mehr miteinander reden, Andrea«, hörte er sich sagen.
    »Ach, Martin, das habe ich schon so oft gehört!«
    »Ich sehe ein, dass ich viel zu viel herumfuhrwerke. Das kann nicht gut gehen. Ich glaubte bisher immer, dass du mich behinderst. Jetzt sehe ich, dass es anders ist. Ich versuche zu wenig, dich zu verstehen. Ich muss aufhören, dich zu bekämpfen, aus Angst unterzugehen. Ich muss viel behutsamer sein. Wir müssen mit allen unseren verzauberten Frauen behutsamer sein.«
    »Was meinst du? Jetzt sprichst du schon wieder so   …«
    »Lassen wir’s so stehen, meine Liebste. Ich meine es ernst.«
    Als er die Verbindung beendete, klingelte es. Es war Breitenbach.
    »Unsere Hundestaffel hat ihn im Taunus geschnappt, er hatte sich unter einem entwurzelten Baum verkrochen. In seiner Tasche steckte ein zerknitterter, brauner Umschlag mit einer interessanten Handlungsanweisung. Wollen Sie beim Verhör dabei sein?«
    »Nein. Wer ist es?«
    »Wie Sie sagen würden: ein Cosmic Dancer .«
    »Und wie würden Sie sagen?«
    »In meiner Version ist es jemand, der mehrere Identitäten hat. Im Moment sehe ich noch nicht, bei welcher wir ihn wirklich packen können.«
    »Kein Individuum also, ein Beauftragter.«
    »Wenn Sie es so ausdrücken wollen. Aber ich habe Vertrauen in die Kollegen aus Wiesbaden, sie scheinen sauber zu sein. Man kommt schon ins Grübeln, wenn man den Aufmarsch hier sieht. Jeder, der Staatsbezüge erhält, scheint sich inzwischen auf den Weg hierher gemacht zu haben, um uns in die Suppe zu spucken.«
    »Staatsschutz?«
    »Na klar. Jede Menge Anzugträger. Plötzlich kommen sie und behaupten, uns zu schützen. Aber ich vermute, sie wollen nur die Kontrolle behalten.«
    »Wir hätten es abbrennen lassen sollen, Breitenbach.«
    »So viel Brandbeschleuniger gibt es gar nicht, wie man manchmal abfackeln will, Herr Velsmann.«
    »Und weiter?«
    »Heute Nacht ist ein Kapitel zu Ende gegangen. Aber wie viele das Drama noch hat, weiß ich nicht. Zumindest Sie sind raus, und zwar für alle Zeiten. Sie können von Glück sagen, dass man Sie überhaupt gehen ließ.«
    »Wer ist man?«
    »Das sind viele kleine Männchen. Real existierende Ideologen. Die kommen aus ganz tiefen Tiefen, glauben Sie mir. Kümmern Sie sich besser nicht darum, ich werde auch nicht darüber reden.«
    »Ich bin mir keiner Schuld bewusst.«
    »Ich auch nicht. Außer einer. Sie beharren auf Ihren eigenen Rechten.«
    »Was ist, um Gotteswillen, daran falsch?«
    »Wenn man den Fall hier sieht, könnte man glauben, es sei falsch. Denn alle, die hier im Moment auftauchen, scheinen zu sagen, dass das Leben jedes Einzelnen nur ein Sandkorn ist. Und die große Düne wird seit Anbeginn von den Eingeweihten gepflegt, von Männern in grauen Anzügen, in Talaren, im Ornat, in
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