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Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)

Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)

Titel: Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
Autoren: Sarah Arnold
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Inneres verstecken, am besten auch ihr
Äußeres. Sie wollte einfach, dass man sie in Ruhe ließ, nicht beachtete. Sie
musste ihr ganzes Leben nicht beachtet werden, sie war unbedeutend, eine unter
vielen, und das kümmerte sie nicht, aber sie wollte nicht auch noch darunter
leiden, wenn andere sie verletzten. Sie wies grundsätzlich jeden Menschen ab. Aus
Angst, Angst davor, wieder und wieder verletzt zu werden. Also versteckte sie
sich und ihre Schutzlosigkeit hinter einer Maske aus bissigen Bemerkungen und
Abblockung.
    „Ich bin hier, sagen wir mal wegen meiner Vergangenheit und ich möchte
nicht darüber reden. Weder mit den Pflegern hier, noch mit dir! Glaub mir, ich
wäre auch lieber woanders!“
    „Bei deinen ganzen verwöhnten perfekten Freunden, in euren perfekten
Häusern, den perfekten Eltern! So leben doch die Citizas oder? Geh einfach,
lass mich einfach alleine in die Reservate fahren und dort sterben, ohne dass
es irgendwen kümmert, denn so ist das nun mal. Niemand trauert um Ropeys,
niemand würde es je wagen, überhaupt an sie zu denken. Akzeptier das, kleiner
mieser Citiza!“
    Klein? Ein wenig belustigt blickte Jay hinunter auf das Mädchen. Doch
ihre Worte machten ihn wütend. Er war keiner dieser Citizas, dieser stummen
Diener der Regierung, die alles glaubten, was man ihnen sagte und auch alles
taten, was man ihnen befahl. Seine Stimme wurde lauter als zuvor, als er
gereizt meinte:
    „Was soll das? Wie kannst du über mich urteilen, obwohl du mich noch
keine zwei Minuten kennst? Ich wäre gerne Zuhause. Mein Zuhause ist eine kleine
Hütte am Rande der Stadt, in Richtung Wald. Sie ist nicht groß, aber genügt.
Und ja, ich wäre richtig gerne da, weil ich dort Verpflichtungen hab! Meine
kleine Schwester wohnt bei mir und sie ist jetzt ganz alleine. Sie ist erst
acht Jahre alt. Sie lernt wirklich schnell und weiß sogar schon wie man sich
ein Brot schmiert, aber sie wird es alleine nicht schaffen! Verstehst du das?
Ohne mich wird sie es nicht schaffen, sie ist nicht fähig alleine zu leben!
Welches Kind in dem Alter wäre das schon? Aber es kann doch nicht sein, dass
nur, weil die Regierung meint, ich sei ihrer nicht würdig, auf ihren Straßen zu
laufen, mich wegzuschicken und meine Schwester da draußen den Launen der Natur
zu überlassen! Also tut mir leid, dass ich dir helfen wollte, aber verdammt,
Penelope sieht dir so ähnlich!“
    Er war sonst so kühl und so selbstsicher, so beherrscht. Doch, wenn er
in dieses Gesicht schaute, dann sah er seine kleine Schwester. Er fühlte sich
von dem fremden Mädchen gleichzeitig abgestoßen und angezogen. Sie war so
schön, doch sie sah Penelope wirklich verdammt ähnlich. War es ein Fehler sie
anzusprechen? Würde er es überhaupt aushalten sie längere Zeit anzusehen, oder
würde ihn das zu sehr verstören, ihn immerzu an Penelope denken lassen? Doch er
konnte nicht wegschauen, ihre Anwesenheit beruhigte ihn auch, sie hatte etwas
an sich, dass ihm ein Gefühl von Vertrautheit gab, wahrscheinlich war es
wirklich diese Ähnlichkeit, die ihn diese Wärme spüren ließ. Das Mädchen war
ihm rätselhaft, er sah in ihrem Inneren eine solche Schutzlosigkeit und
Hilflosigkeit, dass es ihm das Herz zerriss.
    Er schwieg. Langes, tiefes Schweigen. Das einzige Geräusch war der
graue Deckenventilator, der mit einem leisen Summen seine Kreise über den
Köpfen der beiden zog. Das blinde Mädchen blieb stehen, dann griff sie in der
Luft herum, bis sie Jays Hand zu fassen bekam. Sie umklammerte sie und sagte
leise:
    „Ok, kannst du mir bitte helfen?“
    „Wie?“, hauchte er kaum hörbar in den mittlerweile fast menschenleeren
Gang. Er verstand nicht, war aber auch nicht in der Lage mehr zu sagen, zu sehr
irrten seine Gedanken an seine kleine Schwester in seinem Kopf umher. Sein
Blick war starr in die Ferne gerichtet. Er nahm alles nur verschwommen wahr, er
wollte nicht die kühlen weißen Wände oder die hochmodernen Türen sehen, wollte
nicht die Pfleger sehen, die aufgeregt durch die Gänge hetzten. Er wollte
nichts mehr sehen, nur noch Penelope. Er blendete alles um sich herum aus und
konzentrierte sich auf seine Gedanken. Er sehnte sich so sehr nach Penelope.
Eine Erinnerung breitete sich aus. Er sah sich und seine kleine Schwester. Es
war der siebte Juli, die Sonne stand hoch am hellen Himmel. Die Luft vibrierte
in der Mittagshitze. Ein Apfelbaum mit besonders roten Äpfeln stand neben dem
kleinen Schuppen auf einer endlosen Wiese. Penelope trug ein
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