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Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen
Autoren: Ursula Poznanski
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gefunden haben, wonach sie suchten. Kaum. Vor zwanzig Jahren war Andris bereits kein Kind mehr.
    Quirin blickt zu der reich bemalten Decke des Saales. »Man könnte sagen, dass Dhalion schläft, bis ein Signal im Körper ihn weckt. Werden hingegen Erwachsene infiziert, erkranken sie schon nach ein bis zwei Wochen, und sie sterben viel schneller. Das Virus ist ansteckender als Schnupfen und ab einem bestimmten Stadium soll es immer tödlich sein.«
    Ich frage mich, wer alles in Sphäre Neumünster gelebt hat. Gab es dort Kinder? Und falls ja, was ist mit ihnen passiert, nachdem alle Erwachsenen tot waren?
    Zu Hilfe gekommen ist ihnen jedenfalls niemand. Bahnverbindung bis auf Weiteres gesperrt . Ich darf es mir nicht vorstellen.
    Der Gedanke, den ich seit Tagen immer wieder in mein Unterbewusstsein zurückdränge, wenn er sich zeigen will, breitet sich jetzt unbezwingbar in meinem Kopf aus.
    Ich bin kein Vitro. Kein Kind der Sphären, genetisch perfektioniert und von Erbfehlern bereinigt. Ich bin ein entführtes Clankind. Eins von denen, die ich früher in der Auffangstation im Arm gehalten und den künftigen Ziehmüttern zugeteilt habe.
    Irgendwann hat jemand das Gleiche mit mir getan. Der Boden schwankt unter meinen Füßen, aber ich darf jetzt nicht umkippen. Ich nehme meine ganze Kraft zusammen und bemühe mich um Konzentration.
    »Das Gegenserum«, flüstere ich. »Wie lange wirkt es? Du immunisierst die Kinder, wenn sie klein sind – wäre das zwölf oder dreizehn Jahre später auch noch möglich?«
    »Bis zum Eintreten der schweren Symptome.« Quirin antwortet sehr leise. Er weiß, was er da sagt. Wie gewichtig die Schlüsse sind, die ich daraus ziehen werde, trotzdem belügt er mich nicht. Es ist, als würde er Abbitte leisten.
    Ich begreife nur mit Verzögerung, weswegen. Im ersten Moment bin ich einfach froh, dass Zeit bleibt, um die drohende Katastrophe zu verhindern; ich streiche über eine dünne weiße Linie auf meinem Handrücken, die kaum noch sichtbar ist.
    Dann trifft mich die Erkenntnis wie ein Hammerschlag. »Das heißt, du hättest sie retten können.«
    Er blickt zur Seite. »Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht.«
    »Du hättest Tomma retten können, aber du hast einfach neben ihr gestanden und ihr beim Sterben zugesehen, hast ihr bloß dieses nutzlose weiße Pulver verabreicht, anstatt …«
    Mir bleibt buchstäblich die Luft weg, ich muss mich zur Seite wenden, meine Stirn gegen die kühle, glatte Säule lehnen.
    Als ich mich wieder umdrehe, sieht Quirin mich noch immer an. Sein Gesicht ist unbewegt, nur sein Kinn zittert ein wenig, kaum merkbar.
    »Warum?« Meine Stimme klingt, als würde mich jemand würgen.
    »Ich wusste nicht, ob das Serum noch helfen würde. Aber das ist nicht der einzige Grund.« Er betrachtet seine Hände, spreizt die Finger, ballt sie zu Fäusten. Was er als Nächstes sagen wird, kommt ihm nur schwer über die Lippen.
    »Falls Tomma doch mit zurück in die Sphären gegangen wäre, wollte ich, dass sie infektiös ist. Das wäre sie gewesen, zu diesem Zeitpunkt als Einzige von euch. Mit jedem Husten hätte sie das Virus verbreitet und niemand hätte schnell genug reagieren können. In Vienna 2 hätte es innerhalb von Tagen Hunderte Ansteckungen gegeben und dann war da ja auch noch der Arbeiterwechsel – er hätte eine Ausbreitung auf andere Sphären begünstigt.«
    Zu wissen, dass etwas wahr ist und es trotzdem nicht glauben zu können, ist eine neue Erfahrung für mich. Ja, ich erinnere mich daran, was Quirin gesagt hat, als er Tomma das nutzlose Medikament eingeflößt hat: Es wäre wahrscheinlich gut, sie in eine Sphäre zu bringen, dort kann man ihr besser helfen .
    »Du musst die Sphärenbewohner so sehr hassen.« Ich drücke mich von der Säule ab. »Das sieht man dir gar nicht an. Meinen Glückwunsch, ich glaube, es hat mich noch niemand so sehr getäuscht wie du. Ich dachte wirklich, du wolltest uns helfen.«
    Er schüttelt energisch den Kopf. »Ich hasse die Sphären nicht. Das alles ist keine Frage von Gefühlen oder Rache, es ist eine Frage des Überlebens. Sie sind so viel stärker als wir und sie werden uns auslöschen. Das weißt du.« Er kommt einen Schritt auf mich zu, ich weiche zurück.
    »Ich habe die einzige Chance ergriffen, die sich mir geboten hat. Und ich habe noch nicht einmal versucht, einen Sentinel oder einen Grenzgänger aktiv zu infizieren. Aber ich habe ein so grausames Verbrechen wie Kindesraub mit einer Konsequenz
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