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Die Verschwörer von Kalare

Die Verschwörer von Kalare

Titel: Die Verschwörer von Kalare
Autoren: Jim Butcher
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ihre Freunde den wahren Grund für ihren Aufenthalt in der Hauptstadt gekannt hätten, wären sie ohne Zweifel sofort über sie hergefallen und hätten sie gefangen genommen.
    Oder sie gleich an Ort und Stelle umgebracht.
    Das erschwerte es ihr zusätzlich, ihre Rolle zu spielen. Die Kameradschaft und der lockere Umgang waren zu verführerisch. Sie hatte schon darüber nachgedacht, zum Feind überzulaufen. Wäre sie nicht eine so begabte Wasserwirkerin gewesen, sie hätte sich jede Nacht in den Schlaf geweint - aber selbst das hätte ihre Tarnung gefährdet, und darum unterdrückte sie die Tränen.
    Und genau das tat sie auch jetzt, während die Windkutsche endlich in den Sinkflug hinunter in den glutheißen, dunstigen Spätsommer von Kalare überging. Auf ihren Herrn musste sie einen ruhigen, gelassenen Eindruck machen, und ihre Angst bei dem Gedanken daran, bei ihm in Ungnade zu fallen, rief ein
Schwindelgefühl hervor. Sie ballte die Hände zu Fäusten, schloss die Augen und redete sich wieder und wieder ein, dass sie sein wertvollstes Werkzeug und viel zu erfolgreich war, als dass er sich ihrer entledigen würde.
    Das half nicht viel, aber zumindest hatte sie in den letzten Momenten des Fluges etwas zu tun, so lange, bis ihr der kräftige und ein wenig an Fäulnis erinnernde Gemüsegeruch von Kalare in die Nase stieg. Sie brauchte gar nicht aus dem Fenster zu schauen und sich die Stadt anzusehen, in der es zu Sonnenaufgang genauso lebhaft zuging wie bei Sonnenuntergang. Neun Zehntel der Fläche bestand aus schmutzigen Elendsvierteln. Die geschlossene Windkutsche flog auf das letzte Zehntel zu, den prächtigen Turm des Hohen Fürsten, und landete auf dem Wehrgang, wie es ähnliche Windkutschen jeden Tag viele Male taten.
    Sie holte tief Luft, beruhigte sich, nahm die Papiere, zog sich die Kapuze über, um von niemandem erkannt zu werden, und eilte die Treppe hinunter. Unten überquerte sie den Hof zum eigentlichen Turm, der Residenz des Hohen Fürsten. Die Diener erkannten sie an der Stimme und verlangten nicht, dass sie die Kapuze abnahm. Kalarus hatte ihnen seine Wünsche bezüglich Rook sehr eindringlich klargemacht, und die Wachen wagten es nicht, seinen Zorn zu erregen. Ohne Umschweife führte man sie ins Arbeitszimmer des Hohen Fürsten.
    Kalarus saß am Schreibtisch und las. Er war kein Riese von einem Mann und auch nicht kräftig gebaut, allenfalls ein bisschen höher gewachsen als der Durchschnitt. Gekleidet war er mit einem leichten, hauchdünnen grauen Seidenhemd und einer dunkelgrünen Hose aus dem gleichen Stoff. An jedem Finger trug er einen Ring, jeweils mit unterschiedlichen grünen Steinen besetzt, und auf dem Kopf saß ein Reif aus Stahl. Wie die meisten Südländer hatte er dunkles Haar und dunkle Augen, und man durfte ihn durchaus als gutaussehend bezeichnen - obwohl er einen Ziegenbart trug, um das fliehende Kinn zu verstecken.

    Rook kannte ihre Rolle. Sie blieb schweigend neben der Tür stehen, bis Kalarus einige Augenblicke später aufsah.
    »Und?«, murmelte er. »Was führt dich den weiten Weg nach Hause, Rook?«
    Sie zog die Kapuze ab, verneigte sich und trat vor, um die Schriftstücke auf den Schreibtisch ihres Herrn zu legen. »Die meisten enthalten wenig Interessantes. Doch das Oberste wirst du sicherlich unverzüglich lesen wollen, Herr.«
    Er knurrte leise, streckte träge die Hand aus und spielte mit dem Papier, ohne es jedoch aufzufalten. »Es sollte sich schon um wirklich welterschütternde Neuigkeiten handeln. Mit jeder Minute, die du deine Pflichten Gaius gegenüber vernachlässigst, gefährdest du deine Tarnung. Es würde mich doch unglücklich stimmen, ein so wertvolles Werkzeug wegen einer törichten Entscheidung zu verlieren.«
    Innerlich kochte sie vor Wut, ließ sich aber nichts anmerken und neigte erneut den Kopf. »Herr, wenn mich meine Einschätzung nicht trügt, ist dieses Schriftstück ein Befehl von solcher Reichweite, dass er den Wert jedes Spions übertrifft, wie gut er auch immer platziert sein mag. Darauf würde ich sogar mein Leben wetten.«
    Kalarus zog die Augenbrauen eine Winzigkeit hoch. »Das hast du bereits«, sagte er leise. Dann faltete er das Papier auf und begann zu lesen.
    Ein Mann von Kalarus’ Kräften und Erfahrung verbarg selbstverständlich jegliche Gefühle und Reaktionen vor anderen Menschen, ebenso wie Rook vor ihrem Herrn. Wer über ein gewisses Maß an Wasserkräften verfügte, konnte nämlich aus diesen Reaktionen, sowohl den
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