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Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Titel: Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Autoren: Heinrich Böll
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unzudringlichen Zärtlichkeiten gewisse
    materielle Vorteile heraussprängen. Und damit war Katharina Blum endgültig
    verbockt. Sie verweigerte weiterhin die Aussage und bestand darauf, in eine
    Zelle oder nach Hause verbracht zu werden. Zur Verblüffung aller Anwesenden
    erklärte Beizmenne, milde und müde – es war inzwischen . Uhr geworden-,
    er lasse sie durch einen Beamten nach Hause bringen. Dann aber, als sie schon
    aufgestanden war und ihre Handtasche, den Toilettenbeutel und die Plastiktüte
    zusammenraffte, fragte er sie ganz plötzlich und hart: »Wie ist er bloß diese
    Nacht aus dem Haus herausgekommen, Ihr zärtlicher Ludwig? Alle Eingänge,
    alle Ausgänge waren bewacht – Sie, Sie müssen einen Weg gewußt und ihn ihm
    gezeigt haben, und ich werde es herausbekommen. Auf Wiedersehen.«
    20.
    Moeding, Beizmennes Assistent, der Katharina nach Hause fuhr, berichtete
    später, er sei über den Zustand der jungen Frau sehr beunruhigt und fürchte,
    daß sie sich etwas antun könne; sie sei völlig zerschmettert, fix und fertig, und
    habe überraschenderweise ausgerechnet in diesem Zustand Humor gezeigt oder
    erst entwickelt. Als er mit ihr durch die Stadt gefahren sei, habe er sie scherzhaft
    gefragt, ob es nicht doch nett wäre, wenn man jetzt unbefangen und ohne
    Hintergedanken irgendwo einen trinken und zusammen tanzen gehen könne,
    und sie habe genickt und gesagt, das wäre nicht übel, vielleicht sogar nett, und
    später vor ihrem Haus, als er ihr angeboten habe, sie nach oben bis vor ihre Türe
    zu bringen, habe sie sarkastisch gesagt »Ach, besser nicht, ich habe Herrenbesuch
    genug, wie Sie wissen – aber trotzdem danke«.
    Moeding versuchte den ganzen Abend und die halbe Nacht über, Beizmenne
    davon zu überzeugen, daß man Katharina Blum inhaftieren müsse, zu ihrem
    eigenen Schutz, und als Beizmenne ihn fragte, ob er etwa verliebt sei, sagte
    er, nein, er habe sie nur gern, und sie sei gleichaltrig mit ihm, und er glaube
    nicht an Beizmennes eorie von einer großen Verschwörung, in die Katharina
    verwickelt sei.
    Was er nicht berichtete und was doch durch Frau Woltersheim Blorna bekannt
    wurde, waren die beiden Ratschläge, die er Katharina gab, die er immerhin durchs
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    Heinrich Böll
    Die verlorene Ehre der Katharina Blum
    Foyer bis an den Aufzug begleitete, ziemlich heikle Ratschläge, die ihn hätten
    teuer zu stehen kommen können, und außerdem für ihn und seine Kollegen
    lebensgefährlich; er sagte nämlich zu Katharina, als sie vor dem Aufzug standen:
    »Lassen Sie die Finger vom Telefon und schlagen Sie morgen keine Zeitung auf«,
    wobei nicht klar war, ob er die ZEITUNG meinte oder Zeitungen schlechthin.
    21.
    Es war etwa gegen . Uhr des nämlichen Tages (Donnerstag, dem . . ),
    als Blorna sich an seinem Urlaubsort zum erstenmal die Skier anschnallte
    und zu einer längeren Wanderung aufbrechen wollte. Von diesem Augenblick
    an war sein Urlaub, auf den er sich so lange gefreut hatte, vermasselt. Schön
    gewesen war der lange Abendspaziergang am Abend vorher, kurz nach der
    Ankunft, mit Trude zwei Stunden lang durch den Schnee, dann die Flasche
    Wein am brennenden Kamin und der tiefe Schlaf bei offenem Fenster; das
    erste Frühstück im Urlaub, lang hinausgezogen, und noch einmal für ein paar
    Stunden dick eingewickelt auf der Terrasse im Korbstuhl, und dann eben, genau
    in dem Augenblick, als er loswandern wollte, war dieser Kerl von der ZEITUNG
    aufgetaucht und hatte ihn, ohne jede Vorbereitung, auf Katharina angequatscht.
    Ob er sie eines Verbrechens für fähig halte? »Wieso«, sagte er, »ich bin Anwalt
    und ich weiß, wer alles eines Verbrechens fähig ist. Welches Verbrechen denn?
    Katharina? Undenkbar, wie kommen Sie darauf? Woher wissen Sie?« Als er
    schließlich erfuhr, daß ein lange gesuchter Bandit nachweislich bei Katharina
    übernachtet habe und sie seit ungefähr  Uhr früh streng vernommen werde,
    hatte er vorgehabt, sofort zurückzufliegen und ihr beizustehen, aber der Kerl
    von der ZEITUNG – sah er wirklich so schmierig aus, oder fand er das erst
    später? – sagte, so schlimm sei es nun wieder nicht, und ob er ihm nicht ein
    paar Charaktereigenschaften nennen könne. Und als er sich weigerte, meinte
    der Kerl, das sei aber ein schlechtes Zeichen und könne bös mißdeutet werden,
    denn Schweigen über ihren Charakter sei in einem solchen Fall, und es handele
    sich um eine »front-page-story«,
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