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Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube

Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube

Titel: Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube
Autoren: Christopher Ride
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das Jesuskind auf dem Rücken trug. Der muskulöse Heilige hatte Mühe, das Kind durch den reißenden Fluss zu tragen. Seinem Gesichtsausdruck nach hatte er soeben begriffen, dass der kleine Knabe so schwer wog wie die ganze Welt.
    Woher kommt diese schreckliche Stimme?, fragte sich der Bischof verärgert, und zugleich befiel ihn eine furchtbare Angst. »Du musst dich mir zeigen!«, rief er aus.
    Er schritt weiter und schaute dabei ängstlich in die Nischen und Winkel der Kirche. Er kam an dem lebensgroßen Bild des heiligen Antonius von Padua vorbei, wie schon ein Dutzend Mal und ohne seinen Schritt zu bremsen.
    »Gelobt sei Jesus, Maria und Josef«, sagte er zu sich.
    »Ich bin jetzt dein Herr!«, rief die tiefe Stimme und das so laut, dass der Bischof sich die Finger in die Ohren steckte, um den Schall zu dämpfen.
    »Ich habe getan, was du verlangt hast«, beschwerte sich der Bischof und fiel erneut betend auf die Knie. »Ich habe deinen Befehl befolgt!«, schrie er. »Du hast mir versprochen, mich zu meinem Gott zurückkehren zu lassen. Warum hältst du dein Versprechen nicht?«
    Ein quälendes Schweigen hing in der Luft. Wie schon viele Male betete der Bischof in der verzweifelten Hoffnung, diese schreckliche Stimme nie wieder hören zu müssen – und dass alles, was passiert war, nur ein Albtraum war. »Gelobt sei Jesus Christus, beschütze mich in der Stunde der Not«, murmelte er.
    »Wir sind beide in Gefahr!«, rief die tiefe Stimme.
    Wenn sie durch seinen Kopf schallte, brach dem Bischof jedes Mal der Schweiß aus. »Bitte ... du musst mich freigeben.« Er schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter.
    »Du bist erst wieder frei, wenn ich außer Gefahr bin, mein Kind. Es ist ein Mann in Cusco, der meine Seele sucht, ein Fremder, und seine Suche beginnt erst. Er kommt aus einem Land, das ich nicht kenne.«
    »Deine Seele ist geschützt«, erwiderte Bischof Francisco. »Außerdem wirst du ein Gott sein, dem man nichts anhaben kann. Dafür wurde gesorgt.«
    »Dieser Mann wird suchen, was verloren gegangen ist. Das habe ich in meinen Visionen gesehen. Er weiß viel über mich, und er darf nicht in die Berge gehen. Du musst ihn um jeden Preis daran hindern.«
    Der Bischof sah zu dem weiß getünchten Deckengewölbe der Kathedrale hoch. Er befand sich doch im Hause Gottes, das sagten ihm jedenfalls seine Augen. Es war ein Bauwerk von solcher Erhabenheit und Größe, dass er einst geglaubt hatte, er könnte darin unmittelbar zu Gott sprechen.
    Wieso bin ich in meiner eigenen Kirche nicht geschützt?, erlaubte der Bischof sich zu klagen.
    »Für dich gibt es nirgendwo Schutz!«
    Gequält kniff der Bischof die Augen zusammen.
    »Und solange ich es will, werde ich durch dich handeln. Wenn du mir fraglos folgst, wirst du belohnt werden – wenn nicht, erwartet dich ein grausamerer Tod, als Corsell Santillana ihn erlitten hat. Erinnerst du dich an sein Gesicht, als ihm die Schrauben in Hände und Füße getrieben wurden? Erinnerst du dich an den Ausdruck in seinen Augen, als das Leben ihn verließ?«
    »Ja, Herr.«
    »Du musst deine herkömmliche Denkweise aufgeben.«
    Durch die ungezählten Kerzen herrschte im Epistelschiff ein unheimliches Licht. »Bitte, lass mich dein Gesicht sehen«, flehte Bischof Francisco mit geneigtem Haupt. »Du hast mir versprochen, dass ich imstande sein werde, dich in deiner wahren Gestalt zu sehen.«
    »Steh auf«, befahl die Stimme endlich. »Geh vorwärts.«
    Bischof Francisco erhob sich mit schmerzenden Knien; sie waren blau geschlagen, weil er in den vergangenen zwei Tagen so oft betend auf die Knie gefallen war. »Wie du wünschst, Herr.« Er ging weiter, zunächst humpelnd, dann gewann er seinen forschen Gang zurück. Er wollte keine Schwäche zeigen.
    »Geh weiter, mein Kind.«
    Der Bischof passierte den Lagerraum mit dem Silber. Dort standen ein Dutzend Armleuchter mit brennenden Kerzen hinter einem kunstvollen Silbergitter von drei Metern Höhe. Das Silber stammte wie fast alles in der prächtigen Basilika aus zerstörten Inka-Stätten. Die Kuppelkirche hatte allein durch ihren Silbergehalt einen unvorstellbaren Wert und war doch nur einer von vielen Gegenständen aus Silber, die in der Nische aufbewahrt wurden. In der Mitte stand die Figur eines Pelikans, der sich den Schnabel ins Herz stieß, ein Symbol höchster Liebe und Aufopferung.
    »Geh weiter. Ich bin ganz nah.«
    Der Bischof ging am Eingang der Sakristei vorbei.
    »Bleib stehen, und wende dich mir zu«, rief die
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