Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
transparente Blaugrün der Sturmsee mischte. Sie fanden eine Meeresströmung, die nach Norden führte, und vertrauten sich ihr an wie vorher dem Fluss. Der Regen verebbte. Die Wolken rissen auf und ließen blaugrauen Himmel erkennen. Außerhalb des Waldes war es bereits deutlich kühler als innerhalb.
    Die Gruppe zehrte von ihren zur Neige gehenden Vorräten. Regenwasser war noch reichlich vorhanden, aber die Trockenfleisch- und Brotreserven reichten nun höchstens noch für zwei bis drei Tage. Der tote Migal wurde so gut es ging mit Decken abgedeckt. Der im Sterben begriffene Ukas ebenfalls, gegen die Kälte des von See her wehenden Windes.
    Den ganzen Tag lang trieben sie auf ihrem seltsamen Floß Richtung Norden. Die östlichen Ränder des nebelverhangenen Nekeru-Gebirges kamen näher und näher. Rodraeg gewann den Eindruck, dass der Regenwald mindestens einhundert Schritt tiefer im Meer lag als der übrige Kontinent, was vielleicht die unterschiedlichen Klimazonen zu erklären half. Dennoch machte er sich darüber Gedanken, was für ein eigentümliches, künstlich wirkendes Gebilde so ein Kontinent doch war. Einzige Insel mitten im Meer, erdacht von Göttern, bevölkert mit den Ideen der Götter, verlassen von den Göttern, als sich anderswo mehr Ideen verwirklichen ließen.
    Doch beide Male zeigten sich an den Ufern Alligatoren und hundegroße, aber immer noch gefährlich genug wirkende Verwandte oder Abkömmlinge der Spinne in der Trommel.
    Die Nacht senkte sich von Osten her herab. Mit der Nacht kamen die Lichter.
    Erst waren es drei, schließlich sechs lampionähnliche Leuchtbälle, die sich von der Meeresflanke an das Floß heranpirschten. »Die Sicari«, raunten Onouk und Ijugis beinahe gleichzeitig.
    Â»Wollen wir an Land ausweichen? In den Dschungel?«, schlug Tegden vor, der sich auf festem Grund und Boden weitaus sicherer fühlte als auf Wasser.
    Â»In den Dschungel? Bei Nacht? Ich bin froh, dass wir aus diesem Insekten- und Raubtierpfuhl raus sind«, verneinte Ijugis. »Nein, wir werden ihnen die Stirn bieten. Bei uns gibt es nichts zu erbeuten außer vielleicht unseren Waffen. Und sie werden erkennen müssen, dass wir in der Lage sind, diese Waffen zu benutzen, bevor man sie uns abnehmen kann.«
    Â»Aber was machen wir, wenn sie uns mit Pfeilen eindecken?«, fragte Onouk besorgt. »Wir können im Wasser Deckung suchen und uns nur am Rand des Floßes festhalten – aber was wird aus Ukas und Migal?«
    Bestar war ihr dankbar, dass sie Migal noch mitzählte. Der Gedanke, dass sein verstorbener Freund wehrlos von Pfeilen gespickt werden konnte, behagte ihm überhaupt nicht.
    Â»Abwarten«, sagte Ijugis tonlos.
    Also warteten sie.
    Die Lampionlichter näherten sich bis auf etwa fünfzig Schritt Distanz und begannen dann das Floß zu umkreisen. Ein lautloser Tanz, der sich auf der Wasseroberfläche widerspiegelte. Sechs Doppelkugeln also, die gravitätisch das Floß umrundeten wie Gespenster.
    Schließlich fragte eine raue Stimme: »Ihr habt einen Toten bei euch und einen, der die Toten schon sehen kann. Warum?«
    Ijugis erhob sich auf dem Floß und rief zurück: »Weil wir uns unsere Freunde selbst aussuchen.«
    Die Stimme schwieg eine Weile, während das geisterhafte Kreisen weiterging. Dann rief sie von anderer Stelle: »Ihr habt auch zwei Weiber.«
    Ijugis grinste im Dunkeln. Auch er ließ sich mit seiner Antwort Zeit. »Die kann ich dir nicht schenken, so gerne ich sie auch loswerden würde, denn sie sind hässlich und stinken um die Wette. Aber sie haben bedauerlicherweise ihren eigenen Willen.«
    Â»Und du hast ein freches Maul für einen dünnen weißen Mann.«
    Jetzt lachte Ijugis auf. »Mein Mund ist harmlos«, rief er. »Mein Schwert dagegen wird als Ungemach bezeichnet.«
    Â»Du bist Ijugis, den man das Erdbeben nennt?«
    Â»Der bin ich.«
    Â»Ein Erdbeben hat keinerlei Gewicht auf dem Wasser.«
    Â»Es sei denn, es befindet sich unter dem Wasser. Dann, fürchte ich, bebt das ganze Meer.«
    Jetzt lachte auch die kreisende Stimme. »Und was sagt Onouk, die man in Skerb die schönste Perle der Glutsee nannte, dass du sie hässlich und stinkend findest?«
    Â»Nun – ich denke, sie wird mich erst verprügeln und danach gesund pflegen.«
    Â»Dann hast du somit genug Tribut zu entrichten. Fahr wohl mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher