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Die Verführung des Mondes (German Edition)

Die Verführung des Mondes (German Edition)

Titel: Die Verführung des Mondes (German Edition)
Autoren: Hannah Kaiser
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Mir bleibt keine Zeit zum Nachdenken mehr. Ich befestige die Strümpfe an den Haltern, ziehe mein Kleid über und schlüpfe in die bereitgestellten Schuhe, die trotz der mörderisch hohen Absätze erstaunlich bequem sind. Ich atme einmal tief durch und werfe einen letzten Blick in den Spiegel. Ich muss verrückt sein, total bescheuert und fern jeder Vernunft. Aber das Kleid sieht immerhin toll aus und die formende Unterwäsche tut ihre Wirkung.
     
    Mr. Cortez ist stockschwul, hat einen sanften spanischen Akzent, wenn er spricht und einen großen Koffer dabei, der ein bisschen wirkt wie ein Werkzeugkoffer. Ich betrachte den Koffer sorgenvoll und mache mir einen kurzen Moment Gedanken darüber, ob er wohl mit seinem Auftraggeber unter einer Decke steckt und mir gleich hier und jetzt mit einer Rohrzange den Schädel einschlägt.
     
    Aber nichts dergleichen geschieht. Er cremt, tupft, frisiert, schminkt und pudert eine Weile an mir herum. Ich komme mir vor, wie eine fleischgewordene Puppe, so ein Schmink- und Frisierkopf, wie ich ihn als Kind immer haben wollte und nie bekommen habe. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, als hätte ich jedes Recht über mein Gesicht und meine Haare an ihn abgegeben. Ich rutsche nervös auf dem Sessel hin und her und werde umgehend von Mr. Cortez ermahnt. Ich rufe mich innerlich selbst zur Ordnung und schaffe es darauf irgendwie stillzuhalten, schließe die Augen und lasse es über mich ergehen. Nach einer guten halben Stunde klatscht Mr. Cortez einmal in die Hände und lächelt.
    „Fertig! “, sagt er und zieht mich vor den Spiegel. Ich stehe dort und erkenne mich selbst kaum wieder. Meine Augen strahlen in Bernstein und Gold, meine Haare fallen mir, halb hochgesteckt, in goldenen Wellen auf den Rücken, ringeln sich um mein Gesicht, fallen mir weich in die Stirn.
     
    Wow!
     
    Ich sehe aus, wie aus einem Film entstiegen. Unfassbar, dass das Wesen, dessen Spiegelbild ich gerade betrachte, ich selbst sein soll. Ich nehme mir vor, nie mehr an die Schönheit einer Frau zu glauben, die ich nicht abgeschminkt gesehen habe.
    Mr. Cortez steht hinter mir und betrachtet sein Werk zufrieden mit mir im Spiegel. Er fängt meinen Blick auf und strahlt.
    „Wunderschön! “, sagt er und streicht mir eine Locke hinters Ohr. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er mich oder die von ihm hergestellte Frisur oder vielleicht auch sich selbst meint.
    Ich atme tief durch und beschließe, mir nicht mehr so viele Sorgen zu machen. Nur um mich zu verschleppen und umzubringen ist der Aufwand vielleicht doch ein bisschen groß. Und es gibt schon zu viele Zeugen. Im Café und hier … der Typ ist schließlich Anwalt! Auch wenn Mord nicht sein Fachgebiet ist, so doof kann er ja schlussendlich nicht sein.
     
    Teresa erscheint und bringt mir eine Stola passend zum Kleid und ein Abendtäschchen. Das Ding ist so klein, dass ich mich frage, ob es auch einen Nutzen erfüllt oder nur dekorativ aussehen soll. Ich frage mich, wer solche Dinger entwirft. Vermutlich gehen diejenigen davon aus, dass eine Frau für solche Abende nicht mehr als ein bisschen Geld fürs Taxi und ein Kondom benötigt, geht es mir durch den Kopf. Dafür wäre das Täschchen gerade ausreichend groß. Meine Handtaschen sind sonst eher im XXL-Format, groß genug, um ein ganzes Sortiment von Müsliriegeln, Taschentüchern, Büchern, Spielzeug für Kate und sonstigem Krempel darin unterbringen zu können.
     
    Mr. Cortez reicht mir eine Schminkschatulle im Miniformat, falls ich mal „nachbessern“ muss. Es scheint einen ganzen Markt für Miniabendtaschen und Zubehör zu geben, stelle ich erstaunt fest. Ich werfe einen Blick auf meine eigene Handtasche und überlege mir, da ich ohnehin keine Kondome dabei habe, wenigstens ein bisschen Bargeld, mein Handy und meinen Schlüssel einzupacken. Jetzt ist die winzige Abendtasche voll.
     
    Dann erscheint Phillip Dawn. Er trägt einen Smoking, und als er mich sieht, bleibt er stehen. Sein Blick mustert mich von oben bis unten, dann reicht er mir seinen Arm.
    „Darf ich Sie heraus geleiten, Madam e?“, fragt er und grinst unbekümmert. Ich nehme seinen Arm und mein Herz rast. Er ist wirklich der schönste Mann, den ich je aus der Nähe gesehen habe. Mir ist vorher gar nicht aufgefallen, wie groß er ist, selbst mit den hohen Absätzen meiner Schuhe reiche ich ihm kaum bis zur Schulter. Draußen wartet eine schwarze Limousine inklusive Fahrer auf uns. Als er uns herauskommen sieht, springt er aus dem Auto und
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