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Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung

Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung

Titel: Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
Autoren: V Panov
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sofort mitbekam. Deshalb hatte sie sich vorgenommen, ihre Gefühle im Zaum zu halten.
    Auf dem Tablett, das ein Hoffräulein soeben hereintrug, lag ein schmaler, goldener Haarreif, der mit einem großen Smaragd geschmückt war.
    »Das ist deine erste Krone, mein kleiner Prinz.«
    Die Frau legte Lubomir das Schmuckstück selbst an und küsste ihn zärtlich auf die Stirn. Aufs Neue umhüllte atemberaubender Jasminduft den Jungen. Nun war er beinahe glücklich. Das Misstrauen, das die Priesterin Jaroslawa in ihm genährt hatte, verflog.
    »Heute, Bote, wirst du zum ersten Mal mit deinen Untertanen zusammentreffen.«
    »Ich werde sie nicht enttäuschen.«
    Die Tür ging auf. »Eure Majestät – es ist Zeit.«
    Die schöne Wseslawa, Königin des Herrscherhauses Lud, Oberpriesterin des Grünen Hofs und Hüterin des
Regenbrunnens, warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und deutete mit einer sanften Kopfbewegung zur Tür.
    »Wir werden erwartet, Bote.«
     
    Der Thronsaal des Grünen Hofs erstrahlte in jenem unsinnigen, gekünstelten Glanz, der feierlichen Anlässen stets anhaftet, wenn es im Grunde nichts zu feiern gibt. Bemerken konnten dies indes nur Eingeweihte. Einem seltenen Gast königlicher Empfänge oder einem Nichtadligen, der mit den Feinheiten der Etikette nicht vertraut war, hätte das prächtige Ambiente gewiss den Atem verschlagen. Der dunkelgrüne Mosaikboden bildete einen weichen Kontrast zu den dezenten Olivtönen der mit Seidentuch bespannten Saalwände. In Letzteren waren mächtige Malachitsäulen eingelassen, die sich zur hohen Decke streckten. Entlang der Seitenwände reihten sich in üppig verzierten Bottichen blühende Sträucher, die einen berauschenden Frühlingsduft verströmten. Ein gewaltiger Kronleuchter aus Bergkristall und zahlreiche Wandleuchter tauchten den Raum in ein helles, warmes Licht. Der elegante, mit Smaragden besetzte Königsthron befand sich auf einem niedrigen Podest, und direkt dahinter breitete auf einem großen Schild der Tanzende Kranich seine Flügel aus – das Wappen des Herrscherhauses Lud.
    Gewiss war der Thronsaal prunkvoll geschmückt und eindrucksvoll für jeden Betrachter. Indes, die Gäste, die sich heute versammelt hatten, waren mit königlichen Empfängen wohlvertraut, und so entging ihnen nicht,
dass der Atmosphäre im Raum jene ungezwungene und sorglose Fröhlichkeit fehlte, die am Grünen Hof normalerweise herrschte, seit Wseslawa Königin war. Der Prunk wirkte betont alltäglich, die Feierlichkeit betont offiziell und selbst das Lächeln der Lakaien geriet geschäftsmäßig. Ihre Majestät gab auf dezente Weise zu verstehen, dass sie ihre Untertanen nicht versammelt hatte, um ein rauschendes Fest mit ihnen zu feiern.
    »Wenn wir kein Fest feiern, wozu dann das ganze Brimborium?«, nörgelte der Baron Swetlomir. »Zur Besprechung anstehender Sachfragen brauchen wir doch keinen Thronsaal, beim Barte des Schlafenden.«
    Der Baron ging bereits auf die hundertsiebzig zu, und seine Anteilnahme an den Debatten bei Hof beschränkte sich zumeist auf Selbstgespräche. Andererseits schätzte man durchaus seine kolossale Erfahrung und über jeden Zweifel erhabene Lebensweisheit. In der Gesellschaft Swetlomirs weilte gewöhnlich einer seiner zahlreichen Enkel, der die Tiraden des Gebieters der Domäne Ismailowo in geeigneten Momenten unterbrach und so verhinderte, dass sich diese zu wüsten Beschimpfungen auswuchsen, was völlig untragbar gewesen wäre. Doch diesmal war der greise Baron auf sich allein gestellt. Es waren nur handverlesene Gäste in den Thronsaal geladen worden und ihre Gefolgschaften mussten bis zum Ende der Veranstaltung im Palast-Foyer warten.
    Nachdem er ein Glas Champagner geleert hatte, spürte Swetlomir ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis, das sich in einem Selbstgespräch keinesfalls befriedigen ließ. Er zwirbelte seinen grauen, buschigen Schnauzbart
zurecht und wandte sich an den Baron Swjatopolk, der in seiner Nähe stand.
    »Der Kreis der Geladenen ist heute erstaunlich eng, findest du nicht, mein Sohn?«
    Swjatopolk, der mindestens ein halbes Jahrhundert jünger war als Swetlomir, störte sich nicht im Geringsten an der familiären Anrede.
    »Ganz meine Meinung«, erwiderte er. »Wenn Ihre Majestät ausschließlich die Barone eingeladen hätte, müssten wir uns hier gegenseitig suchen gehen. Mir wird jetzt erst richtig bewusst, wie riesig dieser Saal ist.«
    »Sprich langsamer, mein Sohn, du verschluckst ja die Hälfte der
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