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Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Julianne Lee
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Einäugige erhob wütenden Protest, doch Ramsay achtete nicht mehr auf ihn. Er bedeutete Dylan, ihm zu folgen, und führte ihn über die Wendeltreppe in das nächste Stockwerk. Dylan konnte der Versuchung nicht widerstehen, Simpson einen letzten Blick zuzuwerfen. Das gesunde Auge des Mannes funkelte hasserfüllt. Dylan wandte sich ab und ging weiter.
    Ramsay bewegte sich mit der Geschmeidigkeit einer Katze. Dylan musterte ihn nachdenklich. Er wusste, dass sich hinter der umgänglichen Fassade und der eleganten Kleidung ein eiskalter, gefühlloser Charakter verbarg. Dieser Mann hatte einst Dylan gegenüber damit geprahlt, dass er seine Frau schlagen würde und dass er sie und ihr Baby enterben. wolle; nach seinem Tod sollten sie vor dem Nichts stehen und der Junge öffentlich als illegitim gebrandmarkt sein. Ramsay war ein jakobitischer Spion, der sich nach außen hin als Whig ausgab, und niemand, noch nicht einmal sein Schwiegervater, wusste mit Sicherheit, wem seine Sympathien nun wirklich galten. Dylan verabscheute alles an seinem neuen Arbeitgeber, trotzdem riss er sich zusammen und besichtigte gemeinsam mit ihm bereitwillig das Gebäude, das er von nun an zu bewachen hatte.

3. KAPITEL
    Cody Marshall schob ihre Brille höher auf die Nase, bevor sie sich in das nächste Buch über den Jakobitenaufstand von 1715 vertiefte. Viel Hoffnung hatte sie zwar nicht, aber sie vermisste Dylan so sehr, dass sie es nicht über sich brachte, die Suche aufzugeben. Sich in ihrem Stuhl zurücklehnend, räkelte sie sich und gähnte herzhaft. Collegestudenten huschten vorüber; ihre Schritte wurden von dem dicken Teppich gedämpft. Ein Obdachloser kauerte in einer Ecke; leichter Uringeruch drang aus seinen Kleidern.
    Codys Mann hielt es für reine Zeitverschwendung, dass sie so viele Nachmittage in der Bücherei von Nashville verbrachte, und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken. Woher sollte der arme Raymond auch wissen, weshalb sie so plötzlich ihre Vorliebe für Geschichte und besonders für einen der unbedeutenderen britischen Kriege entdeckt hatte? Und es hatte auch wenig Sinn, ihn über ihre Motive aufzuklären. Sicher, sie liebte Raymond von ganzem Herzen - sie waren jetzt seit vier Jahren verheiratet -, aber dem Mann mangelte es an Fantasie, er würde nie begreifen, was mit Dylan geschehen war.
    Cody vermochte es ja selbst kaum zu glauben. Wenn sie die geheimnisvollen, innerhalb einer Woche vollständig verheilten Narben auf Dylans Rücken nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, wäre ihr seine Behauptung, von einer irischen Fee und ihrem verzauberten Schwert in die Vergangenheit zurückversetzt worden zu sein, als Produkt eines verwirrten Verstandes erschienen. Tatsächlich hatte sie sich eine Weile gefragt, ob vielleicht sie selbst verrückt geworden war. Doch nun, da Dylan auf so rätselhafte Weise verschwunden war, nachdem er ihr sein Auto vermacht hatte, wollte sie unbedingt herausfinden, was mit ihm passiert war.
    Außerdem hielt sie diese Beschäftigung für einen relativ harmlosen Zeitvertreib, dem sie nicht mehr Aufmerksamkeit widmete als einst den Fechtstunden, die sie bei Dylan genominen hatte.
    Sicherlich war Dylan mittlerweile tot, aber Cody war sich auch ziemlich sicher, dass er nicht so jung gestorben war, wie jedermann annahm. Die Polizei von Glen Ciorram hatte keinen Leichnam gefunden, sondern nur seinen Mietwagen mit Blutspuren an den Polstern. Dylans Pass hatte auf dem Boden vor dem Fahrersitz gelegen, und man hatte ganz in der Nähe des Wagens seine Kleider und eine Sporttasche gefunden. Geld und Kreditkarten waren verschwunden, daher waren die schottischen Behörden zu dem Schluss gekommen, dass es sich um einen Raubmord handelte. Cody jedoch hoffte, dass Dylan einen Weg zurück in die Vergangenheit gefunden hatte, um seinen Sohn zu sehen.
    »Dylan, wo steckst du nur?«, flüsterte sie leise, dann kehrte sie mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. In letzter Zeit passierte es häufig, dass sie eine Zeit lang ihre Umwelt völlig vergaß, während ihre Gedanken um Dylan und sein Schicksal kreisten. Einzig ihre inbrünstige Hoffnung, er könne ein hohes Alter erreicht haben, linderte ihren Schmerz ein wenig, und eben dafür musste sie einen Beweis finden.
    Seufzend rieb sie sich über das Gesicht. Wenn sie nur einen klitzekleinen Hinweis auf seine Person entdecken könnte, würde sie vielleicht ihren Seelenfrieden wieder finden. Aber nirgendwo wurde ein Dylan Robert Matheson oder >Black Dylan<
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