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Die Vampire

Titel: Die Vampire
Autoren: Kim Newman
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Blut und Gefahr, waren die schnellen Bewegungen erwachter Monstren.
    Dann nichts mehr.
    Das rote Auge betrachtete mich ohne sichtliches Interesse. Alle meine Befürchtungen lösten sich in Luft auf. Es war die reinste Enttäuschung. Ich hatte halb damit gerechnet, mich in diesen Mahlstrom zu werfen, die alte Penny endgültig hinter mir zu lassen. Wenn ich eine von Draculas Bräuten geworden wäre, hätte alles ein Ende gefunden.
    Stattdessen war ich auf einmal die Hausherrin dieses Monstrums.
    Irgendjemand musste den Posten haben. Und ich war dort.
    Es war eine ziemliche Überraschung für mich, dass der Graf so
fügsam war, ein Schock sogar. Ich meine damit nicht, dass er willensschwach war. Sondern dass er das Interesse an der Welt verloren hatte.
    Sogar für ihn war alles zu viel.
    Das ist das Geheimnis, das ich bewahrt habe. Dracula war nicht mehr der, der er einmal gewesen war. Er schlief die meiste Zeit. Wenn er wach war, nährte er sich und spazierte in Gedanken umher. Die Geschichte hatte ihn eingeholt, hatte ihn hinter sich gelassen.
    Früher hatte er eine Leidenschaft für alles Neue und Kraftvolle gehabt, war er besessen gewesen von neuen Erfindungen, neuen Jargons. Ich fand überall Hinweise auf seine erloschene Begeisterung, von halb gebauten Kriegsmaschinen bis zu Berichten von Wissenschaftlern und Gelehrten, die vor langer Zeit in Auftrag gegeben worden waren und nun ungelesen herumlagen. Seine Papiere befinden sich hier unter dem Sarg und warten darauf, angezündet zu werden. Das war meine Entscheidung. Ich bin von verschiedenen Seiten unter Druck gesetzt worden, ihnen das Material auszuhändigen. Mr. Profumo vom Kriegsministerium appellierte an meine Vaterlandsliebe, Mrs. Luce als Stellvertreterin der Vereinigten Staaten an mein Misstrauen und Mr. Gromyko von den Sowjets an meine Friedensliebe. Ich habe ihnen standgehalten, und Draculas Geheimnisse werden mit ihm sterben.
    Dieser Dracula, der Verschwörer und Ränkeschmied, der sich darauf verstand, in den Kulissen der Geschichte zu warten, war tot. Ich wurde die Gouvernante seines Gespensts, dieser wandelnden Hülle des Vampirkönigs. Ich weiß nicht, was ihn so verändert hat. Hiroshima und Nagasaki. Seine Brut, von der so viele in den Todeslagern der Nazis verschwanden. Dass in England die Labour Party regierte. Das Herunterrasseln des Eisernen Vorhangs. Eine Infektion, die er sich bei den italienischen morti viventi geholt hat. Dieses verfluchte Lied, der »Dracula Cha-Cha-Cha«.

    Der Mann, der Eisenbahnfahrpläne gemeistert hatte, der Arien von Gilbert und Sullivan pfeifen konnte, kam nicht mit dem Durchbrechen der Schallmauer und dem Rock’n’Roll zurecht. Du kannst so viel begreifen, Katie. Ich habe deine Artikel über Kerouac und Eddie Cochran gelesen, über die Mau-Mau und Brigitte Bardot, und mir hat sich der Kopf gedreht. Ich habe versucht mitzuhalten, wirklich. Ich habe Die Leute von Peyton Place gelesen und Der Fänger im Roggen und Träume auf der Terrasse. Aber manchmal will ich einfach, dass das aufhört, dass alles so bleibt, wie es war. Das ist der Eissplitter, der einem Vampir im Herzen steckt, der dabei ist, die falsche Sorte Ältester zu werden, die Sorte, die der scharlachrote Henker gejagt hat. Ich begreife, warum der Graf in seinen Sarg steigen und den Deckel zuziehen wollte.
    Wie du gesagt hast, Katie, ich bin eine Arrangeurin. Ich wurde dazu ausgebildet, eine viktorianische Gattin zu sein, was eine Kombination aus zurückhaltendem Takt und peinlich genauer Buchführung und Zeitplanung erfordert. Jede Frau meines Standes könnte eine Nation, eine Armee oder ein Wirtschaftsunternehmen besser führen als diese zu groß geratenen Schuljungen, die solche Machtstellungen innehaben. Wenn die Menschheit dieses Jahrhundert überleben soll, dann empfehle ich, die Gesellschaft nicht nach den Prinzipien von Karl Marx oder Henry Ford auszurichten, sondern nach denen der viktorianischen Haushaltung.
    Als ich praktisch der Kopf des Hauses Dracula wurde, hatte ich endlich meine Stellung gefunden. Diese letzten Jahre über war ich Dracula. Ich habe seine Korrespondenz erledigt und die führenden Regierungschefs der Welt, die mit ihm geliebäugelt haben, gegeneinander ausgespielt. Ich habe für ihn Kuppelei betrieben, ihm warmblütige Körper verschafft, von denen er sich nähren konnte. Und als er sogar an willigen Opfern das Interesse verlor,
habe ich ihn genährt, habe mich mit jungem Blut vollgetrunken und es ihm aus meinen Adern in
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