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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne
Autoren: Friedrich Ani
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seinem Geburtstag bekommen hatte.

2
    Montag, das hatten sie herausgefunden, war meist ein guter Tag. Ohne, dass sie jemals darüber gesprochen hätten, bedeutete ein guter Tag, dass nur einer von ihnen abgeholt und nicht mehr als zwei Stunden gebraucht wurde.
    Meist mussten sie zu zweit oder dritt nach oben gehen.
    Nach dem Frühstück – eine Scheibe Brot mit Erdbeermarmelade für jeden und eine Tasse Schokolade – setzten sie sich an den rechteckigen Holztisch und sahen einander an. Jeden Montag, jeden Tag.
    An diesem Montag war Sophia die Letzte, die aus dem Bad kam. Sie setzte sich an die rechte Schmalseite des Tisches und verbreitete einen strengen Geruch nach Seife. Eike wurde fast schlecht, aber er sagte nichts, jedenfalls nicht direkt.
    Eike saß neben Conrad an der hinteren Längsseite des Tisches, mit dem Rücken zur Wand und dem Blick zur Tür. So lautete die Regel. Wer neu war, musste sich auf einen der beiden Wandstühle setzen. An diesem Montag hatte niemand Lust, etwas zu sagen. Sogar der Fernseher blieb aus.
    Den beiden Jungen gegenüber saßen Leon und Maren reglos nebeneinander. Wenn Maren ihn anschaute – öfter als sonst, wie Leon schien –, lächelte sie ein wenig, nur so viel, dass es aussah wie immer, wie aus Schüchternheit. Leon jedoch war überzeugt, dass heute mehr dahintersteckte als sonst. Sein Herz hatte wieder angefangen zu poltern, als Maren aus dem Bad gekommen war und sich neben ihn gesetzt hatte.
    Wie fast immer, hatte Leon sich als Erster gewaschen und die Zähne geputzt. Gleich würde er noch einmal reingehen müssen. In dieser Woche hatte er Klo-Dienst. Toilette und Dusche schrubben, Waschbecken und Fußboden ordentlich putzen, und wenn der Mann, der zur Kontrolle kam, nicht zufrieden war, ein zweites Mal.
    Bei Leon hatte der Mann schon lange nichts mehr zu meckern, ganz anders als bei Maren oder Sophia. Einmal musste Maren fünf Stunden im Bad bleiben und jeden Zentimeter wieder und wieder abreiben und polieren, bis ihre Finger schon steif wurden.
    Dagegen war Leon ein Profi, was kein Wunder war, weil er von seiner Mutter gelernt hatte, wie man schnell und gründlich sauber machte. Seine Mutter war nicht nur eine Superputzerin, sie verdiente ihr Geld auch noch als Verkäuferin im Supermarkt und am Samstagabend und am Sonntag als Superbedienung im Bowlingcenter. Anders reichte das Geld nicht, wie sie immer wieder erklärt hatte. Er war stolz auf sie. Was das Putzen anging, hätte er gern mal mit ihr gewetteifert, aber sie meinte, er wäre noch viel zu jung für solche Arbeiten und sollte lieber seine Kindheit genießen.
    Leon konnte sich nichts Rechtes unter Genießen vorstellen. Wenn er den Mut hätte, würde er einen der Männer oder die Frau von oben fragen, ob er jede Woche das Bad sauber machen dürfe. Das wäre vielleicht was zum Genießen gewesen. Er kannte die Tricks und hatte wenig Mühe dabei, während die anderen die Arbeit ekelhaft fanden oder sie, wie Eike, hassten.
    Für Leon begann diese Woche auf jeden Fall gut. Und als Maren ihn ansah und auf ihre Art lächelte, fiel ihm wieder ein, dass er heute Geburtstag hatte.
    Beinah hätte er etwas gesagt.
    Er war nicht dumm. Er war lange genug hier, um zu wissen, dass man nicht sagen durfte, was einem wichtig war oder man gern gehabt hätte. Eine Tablette gegen die Schmerzen zum Beispiel. Einen Baumkuchen zum Geburtstag.
    Wenn seine Mutter hier wäre …
    »Was spielen?«, fragte Sophia.
    Nichts passierte. Conrad und Eike blieben stumm. Beide hatten den Kopf in die Fäuste gestützt und taten so, als würden sie den Tisch anstarren. In Wahrheit warfen sie immer wieder einen Blick zur Eisentür, zwischen Leon und Maren hindurch, die so taten, als bemerkten sie es nicht.
    Über Conrads ruhiges Dasitzen wunderte Leon sich ein wenig. Conrad war erst eine Woche hier und schon drei Mal oben gewesen und hatte offensichtlich trotzdem keine Albträume in der Nacht.
    Conrad wollte fragen, wieso der andere ihn die ganze Zeit anglotzte. Er schaffte es nicht. Etwas stimmte nicht mit ihm. Als wäre seine Stimme über Nacht zerbröselt. Schon seit dem Aufstehen versuchte er sich daran zu erinnern, was er geträumt hatte. Beim Einschlafen hatte er fast keine Angst gehabt und sich auf ein neues Abenteuer gefreut, auf ein Fußballspiel, in dem er plötzlich auf dem Platz stand und sein Tor verteidigen musste.
    In seinen Träumen gehörten Fußballspiele und Autofahrten zu seinen Lieblingserlebnissen. Eigentlich war er sich beim
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