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Die unsterbliche Braut

Die unsterbliche Braut

Titel: Die unsterbliche Braut
Autoren: Aimée Carter
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umgeblickt – in der Hoffnung, Henry in der Menge zu erblicken, auch wenn er eigentlich gar nicht da sein sollte. Doch egal, wie aufmerksam ich nach ihm gesucht hatte, ich hatte keine Spur von ihm entdeckt. Zugegeben, ein halbes Jahr war quasi nur ein Wimpernschlag für jemanden, der schon vor der Geburt der Menschheit existiert hatte. Aber ein kleiner Hinweis, dass er mich vermisste, war ja wohl nicht zu viel verlangt.
    Auch während meines Winters mit ihm hatte ich um jeden kleinen Fortschritt kämpfen müssen. Jeder Blick, jede Berührung,jeder Kuss – was, wenn wir nach sechs Monaten wieder ganz von vorn anfangen mussten? Er hatte tausend Jahre damit verbracht, um seine erste Frau Persephone zu trauern, und mich kannte er erst seit einem einzigen. Unsere Hochzeit war nicht das perfekte Ende einer wundervollen Liebesgeschichte gewesen. Sie hatte den Beginn der Ewigkeit bedeutet, und nichts an unserem neuen gemeinsamen Leben würde einfach sein. Für keinen von uns. Vor allem wenn man bedachte, dass ich mich nicht nur in die Ehe würde einfinden müssen, sondern gleichzeitig auch noch lernen musste, Königin der Unterwelt zu sein.
    Und egal, wie viele Jahre ich damit verbracht hatte, mich um meine sterbende Mutter zu kümmern – ich hatte das ungute Gefühl, dass mir das in keinster Weise dabei helfen würde, über das Totenreich zu herrschen.
    Ich schob die Sorgen beiseite, als das schmiedeeiserne schwarze Tor von Eden Manor in Sicht kam. New York, die Schule, die Krankheit meiner Mutter – das war die Vergangenheit. Mein sterbliches Leben. Dies war meine Zukunft. Was auch immer in diesem Sommer passiert war oder auch nicht passiert war – jetzt konnte ich mit Henry zusammen sein, und ich würde keine Sekunde davon vergeuden.
    „Trautes Heim, Glück allein“, murmelte ich, als ich durch das Tor fuhr. Ich würde das schaffen. Henry würde auf mich warten, und er würde sich riesig freuen, mich zu sehen. Meine Mutter würde auch da sein, und ich würde nie wieder sechs Monate überstehen müssen, ohne sie zu sehen. Nachdem ich sie beinahe verloren hatte, war der Sommer ohne Kontakt zu ihr die reinste Folter gewesen, doch sie hatte darauf bestanden – dieser erste Sommer sollte nur mir gehören, und sie und Henry würden sich heraushalten. Doch jetzt war ich zurück, und alles würde gut werden.
    James verdrehte den Hals, um das leuchtend bunte Laub der Bäume am Straßenrand zu betrachten. „Alles in Ordnung?“, wollte er wissen.
    „Das sollte ich dich fragen“, gab ich zurück und warf einenbezeichnenden Blick auf seine Finger, mit denen er nervös auf der Armlehne herumtrommelte. Daraufhin hielt er still, und bevor ich mich bremsen konnte, fügte ich hinzu: „Er wird glücklich sein, mich zu sehen, oder?“
    James blinzelte und antwortete kühl: „Wer? Henry? Kann ich nicht sagen. Ich bin nicht er.“
    Das war die letzte Antwort, mit der ich gerechnet hatte, aber natürlich würde James wegen unserer Rückkehr keine Luftsprünge machen. Er wäre derjenige gewesen, der Henry als Herrscher über die Unterwelt ersetzt hätte, wäre ich gescheitert. Und auch wenn es auf unserer Reise nicht zur Sprache gekommen war, stellte das zweifellos einen wunden Punkt bei ihm dar.
    „Könntest du wenigstens so tun, als würdest du dich für mich freuen?“, fuhr ich ihn an. „Du kannst nicht deine restliche Existenz damit vergeuden, deswegen sauer zu sein.“
    „Ich bin nicht sauer. Ich mache mir Sorgen“, erklärte er. „Du musst das nicht tun, wenn du nicht willst, weißt du. Niemand würde dir etwas vorwerfen.“
    „Was muss ich nicht tun? Nach Eden zurückkehren?“ Ich hatte die Prüfungen bereits bestanden und Henry gesagt, ich würde zurückkommen. Wir waren verheiratet, verdammt noch mal.
    „Alle tun so, als wärst du Henrys letzte und einzige Chance“, fuhr James fort. „Es ist nicht fair, dich so unter Druck zu setzen.“
    Herr im Himmel, er redete tatsächlich davon, dass ich nicht zurückgehen sollte.
    „Hör zu, James, ich weiß, dass es dir in Griechenland gefallen hat – mir auch –, aber wenn du glaubst, du könntest mich überreden, nicht zurückzukehren …“
    „Ich versuch dich zu gar nichts zu überreden“, schnitt James mir mit überraschend fester Stimme das Wort ab. „Ich versuche nur sicherzustellen, dass das auch niemand anders macht. Es ist dein Leben. Niemand wird dir deine Mutter wieder wegnehmen, wenn du dich entscheidest, dass du das hier doch nicht machen
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