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Die Un-Heilige Schrift

Die Un-Heilige Schrift

Titel: Die Un-Heilige Schrift
Autoren: Helmuth Santler
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der Verkündigung des Heils. (Evangelium bedeutet wörtlich „Frohe Botschaft“.)

    Personifikation der Ketzerei, Druck von Antonius Eisenhoit, 1589
    Natürlich war auch dieses Kriterium häufig nur ein Vorwand, eigene Vorstellungen durchzusetzen; noch mehr galt dies für das Kriterium der Geschichtlichkeit. Was der eigenen Meinung widersprach, wurde eben als ungeschichtlich bzw. nicht der Heilslehre entsprechend gebrandmarkt und aus dem entstehenden Kanon verbannt – sofern der jeweilige Meinungsträger auch über die Macht verfügte, seinen Standpunkt zum allgemein anerkannten zu machen.
Was nicht der herrschenden Meinung entsprach, wurde als Irrlehre zurückgewiesen
    Bei aller erforderlichen Abgrenzung vom jüdischen Gesetz – ohne z. B. die Auffassung, auch Heiden, also Unbeschnittene, könnten Christen werden, wäre aus der jungen Ideologie wohl kaum mehr als eine weitere vergängliche jüdische Sekte geworden – galt das Alte Testament dennoch als unbestreitbare Autorität; zumal es den christlichen Theologen gelungen war, sämtliche Verheißungen und Prophezeiungen so auszulegen, dass sie eindeutig auf die Ankunft des einzigen und wahren Messias hindeuteten, nämlich Jesus.
Das Alte Testament war auch für Christen eine unbestrittene Autorität
    Jede erkennbare Ablehnung des Alten Testaments galt deshalb als häretisch, d. h. der herrschenden Lehrmeinung widersprechend – ein weiteres Kriterium, dem so manche später als apokryph bezeichnete Schrift zum Opfer fiel. Wobei der Begriff in diesen Fällen in seiner negativsten Bedeutung verstanden wurde, als ketzerisch und eine Irrlehre verbreitend.
    Schließlich war noch ein weiterer Umstand von Bedeutung: Die Frage, ob und wie häufig eine Schrift in der Gemeinde verwendet wurde.

Urchristliche Public Relations
    Dieses Kriterium steht freilich nicht zufällig an letzter Stelle dieser Auflistung: Die Meinung der Gemeinde spielte eine deutlich untergeordnete Rolle. Von Anfang an gab es die Wissenden und das einfache Volk, die Dispute um theologische Haarspaltereien und die Volksfrömmigkeit. Die Elite konnte an der Meinung der Gemeinde zwar nicht vollkommen vorbeigehen, tat dies jedoch so weit wie möglich.

    Die Bekehrung des Saulus. Bibelillustration von Gustave Doré.
    Andererseits waren die frühkirchlichen Machthaber bzw. um die Macht Kämpfenden natürlich auf die Existenz möglichst vieler Anhänger angewiesen und daher gezwungen, ihre Vorstellungen von Jesu Botschaft zu popularisieren.
Schriften wurden unter dem Namen der Apostel veröffentlicht.
    Es war damals üblich, Schriften unter dem Namen sehr jesusnaher Personen zu veröffentlichen – vorzugsweise Apostel –, um den Texten Gewicht und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Tatsache ist, dass kein historischer Apostel irgendein Textzeugnis hinterlassen hat; als früheste christliche Schriften gelten die Paulusbriefe, die ab 51 n. Chr. entstanden, und Paulus litt zeitlebens unter Minderwertigkeitskomplexen, weil er nicht als richtiger Apostel galt: Er war Jesus nie persönlich begegnet.
Das Markusevangelium entstand nicht vor 70 n. Chr.
    Das älteste kanonische Evangelium, das Markusevangelium, entstand nicht vor 70 n. Chr. und wird von manchen Exegeten (Bibelforschern) sogar auf die 90er-Jahre des ersten Jahrhunderts gelegt. Sein Name als Verfasser des Evangeliums kann erst um 130 n. Chr. in einem bischöflichen Bericht des Papias von Hieropolis nachgewiesen werden. Darin wird bestätigt, dass Markus Jesus nie begegnet ist, sondern lediglich mit seinen Aposteln in Kontakt gestanden hatte:
    Denn er selbst hatte den Herrn ja nicht gehört, noch war er ihm nachgefolgt, später aber folgte er dem Petrus …
    Dennoch – schon die Verbindung zu einem wirklichen Apostel und Zeitzeugen Jesu, zu Simon Petrus, wertet Markus Schrift ungeheuer auf – und ist eine Erfindung. Denn zum wahrscheinlichsten Zeitpunkt der Entstehung des Markusevangeliums war Petrus längst im Circus Maximus zum Märtyrer geworden. (Auch dies ist übrigens eine Jahrzehnte später entstandene Legende; über die geschichtlichen Umstände von Petrus’ Ableben ist nichts weiter bekannt, als dass es Mitte der 60er-Jahre des ersten Jahrhunderts stattgefunden haben müsste.)

    Die Kreuzigung Petri von Caravaggio
    Aus heutiger Sicht mag man versucht sein, solch billig anmutende PR-Tricks zu verurteilen oder die Menschen, die daran glaubten, der Naivität zu bezichtigen. Eine überhebliche Einstellung, die jeglicher Grundlage entbehrt –
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