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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Nikolai Gogol
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mitten durch die Stadt floß; unterwegs riß er einen an einen Pfeiler angehefteten Theaterzettel ab, um ihn, wenn er nach Hause gekommen sein würde, in Ruhe durchzulesen, blickte einer auf dem Holztrottoir vorübergehenden Dame starr ins Gesicht, der ein Bursche in einer militärischen Livree mit einem Bündel in der Hand folgte, und nachdem er noch einmal seine Augen über alles hatte hinschweifen lassen, wie wenn er sich die Lage des Ortes gut einprägen wollte, begab er sich nach Hause und, auf der Treppe von dem Kellner ein wenig unterstützt, geradeswegs in sein Zimmer. Nachdem er Tee getrunken hatte, setzte er sich an den Tisch, ließ sich eine Kerze geben, zog den Theaterzettel aus der Tasche, hielt ihn nahe an das Licht und las ihn durch, wobei er das rechte Auge ein wenig zusammenkniff. Übrigens enthielt der Zettel nicht viel Bemerkenswertes: es wurde Kotzebues »Sonnenjungfrau« gegeben, in welchem Stücke den Rolla Herr Poplowin und die Kora Fräulein Sjablowa spielte; die übrigen Personen waren noch weniger bemerkenswert; indes las er auch sie alle durch, gelangte sogar bis zu dem Preise der Parterreplätze und ersah, daß der Zettel in der Druckerei der Gouvernementsverwaltung gedruckt war; dann drehte er ihn nach der anderen Seite herum und sah zu, ob sich vielleicht auch dort noch etwas befinde; aber da er nichts fand, so rieb er sich die Augen, rollte den Zettel sauber zusammen und legte ihn in sein Kästchen, wohin er alles zu legen pflegte, was ihm in die Hände kam. Er schloß den Tag mit einer Portion kalten Kalbsbratens, einer Flasche kislyja Schtschi [2]   und einem festen Schlafe, wobei er das ganze Pumpwerk in Bewegung setzte, wie man sich in manchen Gegenden des weiten russischen Reiches ausdrückt.
    Der ganze folgende Tag war den Besuchen gewidmet. Der Ankömmling stattete allen Würdenträgern der Stadt Besuche ab. Er machte eine Respektsvisite bei dem Gouverneur, der, wie sich herausstellte, ebenso wie Tschitschikow, weder dick noch dünn war, den Annaorden am Halse trug und sogar, wie man sagte, bereits zu einem Ordensstern eingegeben war, übrigens ein sehr gutmütiger Mensch war und sogar selbst manchmal auf Tüll stickte. Dann begab er sich zum Vizegouverneur, dann zum Staatsanwalt, zum Gerichtspräsidenten, zum Polizeimeister, zum Branntweinpächter, zum Inspektor der fiskalischen Fabriken –, schade, daß es einigermaßen schwer ist, all die Gewaltigen dieser Welt aufzuzählen; aber es genügt zu sagen, daß der Ankömmling, was Besuche anlangt, eine ganz außerordentliche Rührigkeit bekundete; er begab sich sogar zu dem Inspektor des Medizinalwesens und zu dem städtischen Baumeister, um ihnen seinen Respekt zu bezeigen. Und dann saß er noch lange in seiner Britschke und überlegte, wem er wohl noch einen Besuch abstatten könnte; aber es waren weiter keine Beamten mehr in der Stadt vorhanden. In den Gesprächen mit diesen Herren verstand er es sehr kunstvoll, einem jeden zu schmeicheln. Bei dem Gouverneur ließ er so beiläufig die Bemerkung einfließen, wenn man in sein Gouvernement komme, fühle man sich wie im Paradiese; die Wege seien überall wie von Samt; eine Regierung, welche die hohen Verwaltungsposten mit weisen Männern besetze, verdiene dafür das höchste Lob. Dem Polizeimeister sagte er etwas sehr Schmeichelhaftes über die städtischen Polizisten; und in den Gesprächen mit dem Vizegouverneur und dem Gerichtspräsidenten, welche noch bloß Staatsräte waren, bediente er sich sogar versehentlich zweimal der Anrede »Exzellenz«, was ihnen sehr gefiel. Die Folge davon war, daß der Gouverneur ihn gleich für denselben Tag zu einer kleinen Abendgesellschaft in seinem Hause einlud; und ebenso machten es auch die übrigen Beamten: der eine lud ihn zum Mittagessen ein, ein anderer zu einer Partie Boston, der dritte zu einer Tasse Tee.
    Von sich selbst viel zu reden, das schien der Reisende zu vermeiden; wenn er aber von sich sprach, so tat er es in allgemeinen Ausdrücken, mit bemerkenswerter Bescheidenheit und bediente sich in solchen Fällen etwas buchmäßiger Redewendungen: er sei ein unbedeutender Wurm auf dieser Welt und verdiene nicht, daß man sich viel um ihn kümmere; er habe viel in seinem Leben durchgemacht und in seiner dienstlichen Tätigkeit viel für Wahrheit und Recht zu leiden gehabt; er besitze viele Feinde, die ihm sogar nach dem Leben getrachtet hätten; jetzt suche er, in dem Wunsche endlich zur Ruhe zu kommen, sich einen Ort, wo er dauernd
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