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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Nikolai Gogol
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blickten nur seitwärts, ob die Diener des Gouverneurs noch nicht die grünen Whisttische aufgestellt hätten. Sie hatten volle, runde Gesichter, manche sogar mit Warzen; ein oder der andere war auch pockennarbig. Sie trugen das Haar weder in Tollen noch in Locken, noch in der Art, die die Franzosen »Hol mich der Teufel!« nennen; das Haar war bei ihnen entweder ganz kurz geschoren, oder es lag glatt an; die Gesichtszüge aber waren meist rundlich und kräftig. Dies waren die achtbaren Beamten der Stadt. Leider verstehen es auf dieser Welt die Dicken besser als die Dünnen, ihre Interessen wahrzunehmen. Die Dünnen dienen meistens als Hilfsarbeiter oder werden nur in der Liste geführt und versuchen bald hier bald dort ihr Heil; ihr ganzes Wesen hat etwas gar zu Luftiges, Windiges und erweckt keine Hoffnungen für die Zukunft. Die Dicken dagegen bekleiden niemals Nebenstellen, sondern immer Hauptämter, und wenn sie irgendwo sitzen, so sitzen sie da fest und voll Selbstvertrauen, so daß eher die Stelle unter ihrem Gewichte zittert und zusammenbricht, als daß sie davongingen. Äußeren Glanz lieben sie nicht; ihre Fracks haben keine so gute Fasson wie die der Dünnen; aber dafür sammelt sich in ihren Kassetten der Segen Gottes. So ein Dünner hat nach drei Jahren auch nicht eine Seele übrig, die nicht verpfändet wäre; aber bei einem Dicken kann man ganz beruhigt sein: irgendwo am Ende der Stadt taucht auf einmal ein Haus auf, das er auf den Namen seiner Frau gekauft hat, dann am anderen Ende noch ein Haus, dann in der Nähe der Stadt ein kleines Dörfchen, dann ein ordentliches Kirchdorf mit allen Appertinenzien. Schließlich nimmt der Dicke, nachdem er Gott und dem Kaiser treu gedient und sich die allgemeine Achtung erworben hat, seinen Abschied, zieht um und wird Gutsbesitzer, ein prächtiger, echt russischer, gastfreier Herr, und führt ein gutes Leben. Nach seinem Tode aber verlieren seine dünnen Erben wieder, wie das russischer Brauch ist, im Handumdrehen das gesamte väterliche Vermögen.
    Wir können nicht verhehlen, daß Überlegungen ziemlich derselben Art auch Herrn Tschitschikow beschäftigten, während er die Gesellschaft musterte, und die Folge davon war, daß er sich schließlich zu den Dicken gesellte, wo er fast lauter bekannte Gesichter vorfand: den Staatsanwalt mit sehr dichten, schwarzen Augenbrauen und einem etwas zwinkernden linken Auge, wie wenn er sagen wollte: »Komm mit in das andere Zimmer, Bruder, ich will dir da etwas sagen«, übrigens einen ernsthaften, schweigsamen Menschen; den Postmeister, einen Mann von kleinem Wuchse, aber einen Witzbold und Philosophen; den Gerichtspräsidenten, einen sehr vernünftigen, liebenswürdigen Menschen. Alle diese Herren begrüßten ihn wie einen alten Bekannten, worauf sich Tschitschikow verbeugte, etwas schräg nach der Seite zu, jedoch nicht ohne Anmut. Dabei machte er auch sogleich die Bekanntschaft des sehr umgänglichen, höflichen Gutsbesitzers Manilow sowie des dem Ansehen nach etwas plumpen Sobakewitsch, der ihm gleich von vornherein stark auf den Fuß trat und dazu nur sagte: »Bitte um Entschuldigung!« Alsbald forderte man ihn auch auf, an einer Whistpartie teilzunehmen, was er mit einer ebensolchen höflichen Verbeugung annahm. Sie setzen sich an einen grünen Tisch und standen erst zum Abendessen wieder auf. Alle Gespräche hörten vollständig auf wie das immer der Fall ist, sobald die Leute sich einer ernsten Beschäftigung widmen. Der Postmeister war ja zwar für gewöhnlich sehr redselig, aber auch er machte, sobald er die Karten in die Hand genommen hatte, sofort ein sehr nachdenkliches Gesicht, bedeckte die Oberlippe mit der Unterlippe und behielt diese Haltung während des ganzen Spieles bei. Wenn er ein Bild ausspielte, schlug er kräftig mit der Hand auf den Tisch und sagte dabei, wenn es eine Dame war: »Mach, daß du wegkommst, du alte Popenfrau!« und wenn es ein König war: »Mach, daß du wegkommst, du Tambowscher Bauer!« Und der Gerichtspräsident erwiderte: »Den werde ich beim Schnurrbart kriegen! Die werde ich beim Schnurrbart kriegen!« Manchmal, wenn einer eine Karte auf den Tisch warf, entfuhr ihm ein Ausdruck von dieser Art: »Ach was, auf gut Glück! ’n Herz hat ein jeder!« oder auch einfach ein Ausruf »Trefflich, Treffer!« »Pike, Picknick, Pickel, Pikanterie!« In dieser Weise hatten sie in ihrer Gesellschaft die Farben umgetauft. Nach Beendigung eines Spieles wurde, wie das üblich ist, ziemlich laut
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