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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Nikolai Gogol
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krähte und sogar mit den arg zerzupften Flügeln schlug. Als Tschitschikow sich dem Gehöfte näherte, bemerkte er auf der Freitreppe vor der Haustür den Hausherrn selbst in einem grünen Rocke aus Kammgarn; er hatte die Hand als Schirm über den Augen an die Stirn gelegt, um den herankommenden Wagen besser erkennen zu können. In dem Maße, wie die Britschke sich der Haustür näherte, wurden seine Augen fröhlicher und sein Lächeln breiter.
    »Pawel Iwanowitsch!« rief er endlich, als Tschitschikow aus der Britschke stieg: »Also haben Sie doch endlich auch einmal an uns gedacht!«
    Die beiden Freunde küßten sich herzlich, und Manilow führte seinen Gast ins Zimmer. Obgleich die Zeit, die sie zum Durchschreiten des Flures, des Vorzimmers und des Eßzimmers brauchten, ziemlich kurz ist, so wollen wir doch versuchen, ob wir sie nicht dazu benutzen können, etwas über den Hausherrn zu sagen. Aber hier muß der Verfasser bekennen, daß ein solches Unternehmen sehr schwierig ist. Weit leichter ist es, Charaktere von größerem Kaliber zu schildern: da braucht man nur die Farben mit der ganzen Hand auf die Leinwand zu werfen: schwarze, sengende Augen, überhängende Augenbrauen, eine von Runzeln durchfurchte Stirn, ein über die Schulter geworfener schwarzer oder feuerroter Mantel, – und das Porträt ist fertig. Aber all diese Herren, deren es auf der Welt so viele gibt, die auf den ersten Blick einander sehr ähnlich sind, an denen man aber bei näherem Hinsehen eine Menge kaum erfaßbarer Besonderheiten entdeckt, diese Herren sind furchtbar schwer zu porträtieren. Hier muß man die Aufmerksamkeit auf das äußerste anspannen, um all die feinen, beinah unsichtbaren Züge wahrzunehmen, und überhaupt ist dazu ein tiefer, in der Wissenschaft der Menschenkenntnis geschärfter Blick erforderlich.
    Vielleicht konnte nur Gott allein sagen, was für ein Charakter Manilow eigentlich war. Es gibt eine Art von Menschen, von denen man zu sagen pflegt: sie sind ganz eigenartige Leute, nicht Fisch, nicht Fleisch. Vielleicht muß man auch Manilow zu diesen rechnen. Dem Aussehen nach war er ein stattlicher Mensch; seine Gesichtszüge entbehrten nicht einer gewissen Anmut; aber dieser Anmut war, wie es schien, allzuviel Zucker zugesetzt; sein Benehmen und seine Umgangsformen zeigten das Bestreben, sich die Neigung anderer zu erwerben und Bekanntschaften anzuknüpfen. Er hatte ein verlockendes Lächeln, war blond und blauäugig. Im ersten Augenblicke des Gespräches mit ihm sagte man unwillkürlich: »Was ist das für ein angenehmer, gutherziger Mensch!« In dem darauffolgenden Augenblicke sagte man nichts, und im dritten sagte man: »Weiß der Teufel, was das für ein Kunde ist!« und ging weg, so weit als möglich; konnte man aber nicht weggehen, so empfand man die tödlichste Langeweile. Es war von ihm kein hitziges oder auch nur eifriges Wort herauszubekommen, wie man es doch fast von jedem hört, wenn man sein Lieblingsthema berührt. Jeder Mensch hat doch sein Lieblingsgebiet: der eine interessiert sich für Jagdhunde; ein anderer glaubt ein großer Kenner der Musik zu sein und ein wunderbares Verständnis für all ihre tiefen Stellen zu haben; ein dritter besitzt eine Meisterschaft darin, gut zu dinieren; ein vierter möchte im Leben eine Rolle spielen und wenigstens einen Zoll höher stehen, als es ihm vom Schicksal beschieden ist; ein fünfter, der sich mit seinen Wünschen mehr einschränkt, schwärmt und träumt davon, wie er wohl mit einem Flügeladjutanten auf der Promenade spazieren gehen könne, damit es seine Feinde und seine Bekannten und sogar unbekannte Leute sähen; ein sechster ist von der Natur mit einer Hand begabt, die den unnatürlichen Wunsch verspürt, an einem Karo-As oder an einer Zwei eine Ecke umzubiegen, während einem siebenten nur so die Hand juckt, irgendwo Ordnung zu stiften und sich mit einem Postmeister oder den Postknechten einzulassen, – kurz, jeder hat sein Lieblingsgebiet, aber Manilow hatte keines. Zu Hause redete er sehr wenig; größtenteils überlegte er und dachte nach; aber worüber er nachdachte, das war vielleicht auch wieder nur Gott dem Herrn bekannt. Daß er sich mit der Wirtschaft beschäftigt hätte, konnte man nicht sagen; er fuhr sogar nie auf die Felder; die Wirtschaft ging von selbst so leidlich. Wenn der Verwalter sagte: »Es wäre gut, gnädiger Herr, das und das zu tun«, so antwortete er gewöhnlich: »Ja, es wäre nicht schlecht«, und rauchte seine Pfeife
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