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Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette
Autoren: Ingrid Hedström
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ein ernstes Anliegen. Und er war nicht so jung, eher wie Sie, Madame. Er wollte heute wiederkommen, ich habe versprochen, es dem Herrn Rechtsanwalt zu sagen. Aber ich habe ja Monsieur Janssens nicht gesehen, nicht seit Donnerstag abend. Das ist sehr merkwürdig.
    Die beiden Frauen sahen einander an.
    – Es ist wohl das beste, wenn wir bei ihm reinschauen, sagte Denise. Sie haben doch Schlüssel, Madame Cunhal?
    Maria Cunhal nahm schon den Schlüsselbund von einem Brett im Küchenschrank.

    Das erste, was ihnen auffiel, war der Gestank. Er schlug ihnen entgegen, sobald sie die Tür geöffnet hatten, ein metallischer, Übelkeit erregender Geruch, der, schon bevor sie ihn wiedererkannt hatte, Denise’ Herz rascher schlagen und die Härchen auf ihren Armen sich aufrichten ließ. Sie gingen langsam in die Wohnung und blieben dicht beieinander.
    Er lag in seinem Arbeitszimmer mit dem Gesicht nach unten auf dem Fußboden, den Kopf in Richtung Schreibtisch. Sein Hinterkopf war eine breiige, blutige Masse, und der Raum stank wie ein Schlachterladen von dem Blut, das überall verspritzt war, auf den Spiegeln und den Bücherschränken und dem antiken Mahagonischreibtisch. So viel Blut, dachte Denise, daß in einem Menschen so viel Blut ist. Sie machte ein paar Schritte ins Zimmer. Vielleicht war er nicht tot. Sie mußten doch versuchen, ihm zu helfen! Aber sie wußte, daß es zu spät war. Eric Janssens war tot, und schon summten Fliegen um seinen Körper. Eine Welle von Übelkeit überspülte sie, und sie packte einen Stuhl, um nicht ohnmächtig zu werden. Es war ein Gefühl, als wäre die Zeit stehengeblieben. Während eines langen, gefrorenen Augenblicks nahm sie alles im Raum auf – herausgezogene Schubladen, geöffnete Schränke, umgekippte Möbel. Auf dem kleinen Tablettisch aus Messing lag ein aufgeschlagenes Buch, mit dem Rücken nach oben. Sie konnte die roten Buchstaben des Titels lesen: »Die Thibaults«. Der Schreibtisch war entsetzlich mit Blut und Hirnsubstanz befleckt, aber eine viereckige Fläche war ohne Flecken, als ob von dort etwas weggenommen worden wäre. Neben dem toten Körper lag eine blutverschmierte Statuette. Denise erkannte sie wieder. Sie hatte sie vor erst einem halben Jahr Eric Janssens verkauft, eine grazile französische Bronzenymphe aus der Jahrhundertwende.
    Maria Cunhal stand noch im Korridor, blaß, aber gesammelt, die Arme über der Brust verschränkt.
    – Kommen Sie jetzt, Madame van Espen, sagte sie, wir müssen die Polizei anrufen.Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung ließ sich Denise im Keller in der Rue des Minimes an ihrem Arbeitstisch nieder. Die Polizei hatte sie stundenlang festgehalten, sie ausgefragt und wieder ausgefragt. Max war ohne Eric Janssens’ Geld nach Gent gefahren, und Laurence, die Kunststudentin, die ihnen manchmal half, hatte im Laden den ganzen Tag allein die Stellung halten müssen. Jetzt saß Denise da und ging Gegenstände aus einem Nachlaß durch, den sie gerade hereinbekommen hatten. Aber es fiel ihr schwer, ihre Gedanken von dem blutbespritzten Zimmer in der Rue Jean Jacob fernzuhalten. Sie war widerwillig mit Polizeikommissar Patrick Anneessens noch einmal in Eric Janssens’ Wohnung gegangen, um zu sehen, ob etwas daraus verschwunden war. Aber obwohl es ausgesehen hatte, als wäre ein Tornado durch die Räume gefegt, schien alles von Wert noch dazusein. Denise kannte jedes Bild und jeden erlesenen Gegenstand in der Wohnung, und sie war sicher, daß nichts fehlte.
    – Er muß nach etwas gesucht haben, sagte sie und betrachtete den offenen Wandschrank im Schlafzimmer, die Schubladen, die geleert, und das Bettzeug, das auf den Boden geworfen worden war.
    – Vielleicht, sagte Kommissar Anneessens nachdenklich, ja, die Brieftasche scheint jedenfalls verschwunden zu sein. Sagen Sie, Madame, der Klatsch im Justizpalast besagt, daß er öfter junge Männer in die Wohnung mitgenommen hat. Wissen Sie etwas von ihnen, Sie kannten ihn ja?
    Denise sah Anneessens böse an.
    – Sie wollen doch nicht etwa darauf herumreiten, sagte sie, bald sagen Sie wohl, es war seine eigene Schuld, weil er einen riskanten Lebensstil hatte. Es waren jedenfalls keine Minderjährigen.
    – Regen Sie sich nicht auf, sagte Anneessens abwiegelnd, ich habe Eric Janssens manchmal bei der Arbeit getroffen und hatte Respekt vor ihm, er war ein tüchtiger und redlicher Jurist. Ich habe keine vorgefaßten Meinungen dazu, was hinter diesem Mord steckt, aber es wäre dumm, das
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