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Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Goga
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ersten Augenblick an.«
    »Fiel es Ihrer Schwester schwer, sich von ihm zu trennen?«, fragte Leo unvermittelt.
    Rosa Lehnhardt drehte sich nicht zu ihm um. »Nein. Sie wollte reisen, studieren, ein aufregendes Leben führen. Da hätte ein Kind nur gestört. Von der Schande einmal abgesehen.«
    Walther stenographierte in rasender Eile mit.
    »Der Junge hat mir so viel Freude gemacht, von Anfang an. Und Gustav ging es ebenso. Erst als Adrian älter wurde und es mit der Musik ernst meinte, veränderte sich das Verhältnis zwischen den beiden.« Sie schaute die Männer anklagend an. »Gustav sagte, er habe einen Nachfolger für die Firma gewollt. Ich aber wollte ein Kind. Und einem Kind muss man alles geben, was es braucht. Mein Junge brauchte die Musik, sie machte ihn glücklich.«
    »Gewiss«, warf Leo ein, »aber was war mit Ihrer Schwester?«
    Nun endlich schaute sie ihn an. »Wie meinen Sie das?«
    »Irgendwann hat Henriette ihre Zurückhaltung Adrian gegenüber aufgegeben, nicht wahr? Irgendwann kehrte sie in sein Leben zurück, wollte ihn kennenlernen, bekundete aufrichtiges Interesse an ihm.«
    »Ja, aber   …«
    »Und dann haben Sie gemerkt, wie interessant er seine Tante fand. Wie fasziniert er von ihrem Wesen war, ihren Reisen, ihrem Beruf, ihrer Weltgewandtheit. Buddhismus undYoga und exotische Gewürze, eine nach Rosenwasser duftende Wohnung, Verständnis für seine Kunst   – zudem stand sie auch noch mitten im Leben, hatte einen anspruchsvollen Beruf, half anderen Menschen. Natürlich hielt er sie für seine Tante, aber er muss die enge Verbindung zu ihr gespürt haben. Uns gegenüber hat Ihr Sohn von Beginn an erklärt, dass ihn eine besondere Beziehung mit seiner Tante verband. Kein Wunder, nicht wahr? Sie gaben sich für seine Mutter aus, waren aber in jeder Hinsicht anders als Ihre Schwester. Und Sie merkten, dass Ihre Schwester es war, die ihn begeisterte, die aus einer anderen Welt kam, zu der es ihn hinzog. Es war, als würde man Ihnen nach so vielen Jahren das Kind doch noch entreißen.«
    Leo hatte in ruhigem Ton gesprochen, aber die Worte schnitten präzise wie ein Skalpell. Rosa Lehnhardt legte eine Hand auf die Brust, die andere umklammerte ihren Hals. Walther empfand beinahe Mitleid mit ihr.
    »Es kam allmählich«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Als Henriette nach Berlin zurückkehrte, habe ich mir nichts dabei gedacht. Ich habe mich sogar gefreut, sie in der Nähe zu haben. Doch je älter Adrian wurde, desto mehr interessierte sie sich für ihn. Er war kein richtiges Kind mehr, entwickelte Persönlichkeit und Talente, wurde ein echter Gesprächspartner. All das hat ihr gefallen.« Ihre Stimme klang bitter. »In den ersten Jahren hat sie nie darauf angespielt, dass sie seine Mutter war, da war er ihr nicht interessant genug. Ich habe gedacht, es könnte so weitergehen   – Tante und Neffe, die einander zugetan waren. Doch dann reichte es nicht mehr. Sie wollte es ihm sagen.«
    Im Salon war es totenstill. Man hörte nur den Wind und den Regen, der gegen die Fenster peitschte.
    »Wann war das genau?«, fragte Leo.
    »Ich   … ich weiß nicht   …« Zum ersten Mal klang ihre Stimme unsicher.
    »›Ich muss dich sehen. Warum hast du nicht angerufen? Habe ich dich irgendwie gekränkt? Dann verzeih mir, bitte. Dein Schweigen kann ich nicht ertragen‹«, zitierte Leo aus dem Gedächtnis. »Sie haben Ihre Schwester gebeten, vielleicht sogar angefleht, es Adrian nicht zu sagen. Sie hatten panische Angst, ihn zu verlieren. Daraufhin hat sich Ihre Schwester zeitweise von Adrian zurückgezogen. Worauf er ihr diesen Brief geschrieben hat. Es waren tatsächlich nicht die Zeilen eines Liebhabers.«
    »Sie wollte ihn für sich, obwohl sie ihn nach der Geburt aufgegeben hatte«, sagte Rosa Lehnhardt, und zum ersten Mal schwang Verzweiflung in ihren Worten mit. »Ich habe ihn großgezogen, geliebt, gegen seinen Vater in Schutz genommen   … und dann kam sie und wollte ihn zurückhaben. Das geht doch nicht.« Sie schaute die Kriminalbeamten an wie ein hilfloses Kind, das über die Ungerechtigkeit der Welt staunt.
    »Frau Lehnhardt, wie ist Ihr Mann gestorben?«
    Nun war sie überrascht. »Was hat Gustav damit zu tun? Er war magenkrank und erlitt einen Herzanfall im Krankenhaus.«
    »Ihre Schwester starb vermutlich an einer Vergiftung durch Samenkörner des
Abrus precatorius
, zu deutsch Paternostererbse, das erklärten wir Ihnen bereits. Ihr Mann starb an einer Magenerkrankung. Denkbar wäre
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