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Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Goga
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den letzten Tagen wirklich kaum miteinander gesprochen.«
    »Jetzt haben wir Zeit, Leo.«
    Er neigte sich vor und küsste sie ganz leicht auf den Mund. »Willst du mich heiraten?«
    Sie umarmten sich im Schein einer Straßenlaterne. Der Regen fiel wieder stärker, und sie hatten keinen Schirm dabei, aber das war egal. Kein Regen der Welt hätte sie stören können.

27
     
    FREITAG, 9.   NOVEMBER 1923
    Um elf sollte die Beerdigung von Henriette Strauss stattfinden, doch Leo ging beschwingten Schrittes zur Stadtbahn. Nach seinem Spaziergang mit Clara hatte er kaum einschlafen können und war trotz der Dunkelheit schon früh aufgewacht. Ilse hatte ihn mit schief gelegtem Kopf angesehen, aber er hatte nur zurückgelächelt. Sie würde es früh genug erfahren.
    Auf dem Friedhof in der Stubenrauchstraße passierte er das Tor mit dem spitzen Giebel. Er kannte die markante Urnenhalle aus rotem Backstein, in der eine kurze Trauerfeier stattfinden sollte. Auf einen Gottesdienst hatte Adrian Lehnhardt verzichtet.
    Rosa Lehnhardt hatte Leo am Vortag erklärt, dass sie das Begräbnis bereits arrangiert und alle Trauergäste verständigt hatte. Man hatte lediglich auf die Freigabe des Leichnams gewartet. So war es ihrem Neffen wenigstens erspart geblieben, sich auch noch um diese Formalitäten zu kümmern.
    Leo hielt sich im Hintergrund, bis sich die Tür der Urnenhalle öffnete und der Geistliche mit der Urne der Verstorbenen heraustrat. Adrian Lehnhardt folgte ihm mit versteinerter Miene. Leo sah einige bekannte Gesichter   – Alice Vollnhals, Grete Meyer, Magda Schott, Frau Schröder aus der Beratungsstelle, Dr.   Stratow und Dr.   Dahlke. Es waren auch einfach aussehende Frauen darunter, die vermutlich einmal die Hilfe der Verstorbenen gesucht hatten.
    Nachdem alle Trauergäste an ihm vorbeigegangen waren,schloss er sich dem Zug an und folgte ihm bis an das ausgehobene Grab. Es war kein Familiengrab, sondern eine einzelne Grabstätte unter einem Baum, der im Frühjahr sein schützendes Laub über das kleine Viereck aus Erde breiten würde.
    Adrian Lehnhardt stand reglos da, während die Urne in das Loch gesenkt wurde. Dann trat er vor und warf eine Rose aus einem bereitstehenden Korb hinein. Während die anderen es ihm nachtaten, trat er still beiseite. Niemand kondolierte ihm, vermutlich hatte er um Zurückhaltung gebeten. Als alles vorbei war, wollte Leo gehen, hörte aber eine leise Stimme hinter sich.
    »Herr Wechsler.«
    Leo drehte sich um.
    Adrian Lehnhardt streckte ihm die Hand entgegen. »Ich wollte mich bedanken.«
    »Wofür?«
    »Für alles. Ihre Arbeit und   … Ich werde verreisen. Wenn der Prozess vorbei ist. Ich wäre gern gleich gefahren, aber man sagte mir, ich müsse   …« Seine Stimme versagte. »Ich bin ein Zeuge.«
    Leo nickte.
    »Dann reise ich nach Indien. Fürs Erste. Und danach   … die Geige   … wir werden sehen   …« Er verstummte.
    Leo drückte ihm die Hand. Dann drehte er sich um und ging in Richtung Tor.
    Er fühlte sich befreit. Adrian Lehnhardt würde lange brauchen, bis er die Ereignisse völlig erfasst hatte. Momentan wirkte er noch wie betäubt. Doch es gab Hoffnung. Der Selbstmordversuch war wohl doch ein spontaner Impuls gewesen, der aus dem furchtbaren Schock geboren war. Nun machte Adrian Pläne. Wer nach Indien reisen wollte, wollte auch leben.
     
    Am ersten Zeitungsstand war es mit Leos guter Laune vorbei, als sein Blick auf die ›Vossische‹ fiel:
     
    Hitler-Umsturz in München
    Das neue Novemberverbrechen
     
    Leo hatte gelegentlich über den Mann gelesen, ihn aber als politischen Wirrkopf abgetan, von denen es so viele gab. Er kaufte hastig eine Zeitung und überflog den Leitartikel im Gehen.
    Hitler hatte mit seinen Anhängern eine Versammlung im Münchner Bürgerbräukeller gestürmt und zur »nationalen Revolution« aufgerufen. Ein Flugblatt wurde verbreitet, auf dem die Regierung der sogenannten »Novemberverbrecher« in Berlin für abgesetzt erklärt wurde und Hitler sich zum Mitglied einer provisorischen Nationalregierung ernannte. Am heutigen Tag sollte es einen großen Marsch durch die Münchner Innenstadt geben.
    Kopfschüttelnd faltete Leo die Zeitung zusammen. In den vergangenen fünf Jahren hatte er eine Unzahl von Unruhen und Aufständen miterlebt. Er erinnerte sich lebhaft an die Straßenkämpfe im Jahr 1918, unmittelbar nach Kriegsende, an Freikorps und Spartakisten. Und jetzt dies. Seine Stimmung verdunkelte sich. Es war nur ein Gefühl, ein kaum
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