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Die Tote in der Bibliotek

Die Tote in der Bibliotek

Titel: Die Tote in der Bibliotek
Autoren: Agatha Christie
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aufstehen und nachsehen, Arthur.»
    «Aber das kann doch nur ein Traum gewesen sein, Dolly. Träume erscheinen beim Aufwachen oft noch so wunderbar real. Man ist sich dann ganz sicher, dass die Dinge wirklich passiert sind.»
    «Ich habe aber etwas ganz anderes geträumt, von einer Blumenschau und von der Pfarrersfrau im Badeanzug – oder so ähnlich.»
    Mit ungeahnter Energie sprang Mrs. Bantry plötzlich aus dem Bett und zog die Vorhänge auf. Das Licht eines schönen Herbsttages strömte ins Zimmer.
    «Ich habe das nicht geträumt», erklärte sie entschieden. «Steh jetzt auf, Arthur, geh hinunter und sieh nach, was da los ist.»
    «Ich soll hinuntergehen und fragen, ob in der Bibliothek eine Tote liegt? Ich mach mich doch nicht lächerlich!»
    «Du brauchst ja nicht zu fragen. Wenn tatsächlich irgendwo eine Leiche ist – vielleicht hat Mary ja den Verstand verloren und sieht Dinge, die gar nicht da sind –, dann wirst du es sofort erfahren. Du selbst brauchst da gar nichts zu sagen.»
    Murrend hüllte sich Colonel Bantry in seinen Morgenrock und verließ das Zimmer. Er schritt den Flur entlang und die Treppe hinab. Unten stand dicht zusammengedrängt ein Grüppchen Dienstboten; einige von ihnen schluchzten. Der Butler trat gewichtig vor.
    «Gut, dass Sie kommen, Sir. Ich habe Anweisung gegeben, vorläufig nichts zu unternehmen. Wäre es Ihnen recht, wenn ich jetzt die Polizei rufe, Sir?»
    «Die Polizei? Wieso denn das?»
    Der Butler warf einen vorwurfsvollen Blick nach hinten, wo eine hoch gewachsene junge Frau an der Schulter der Köchin hemmungslos weinte.
    «Ich nahm an, Mary hätte Sie unterrichtet, Sir. Sie sagte es zumindest.»
    «Ich war so aufgeregt», stieß Mary schluchzend hervor, «ich weiß gar nicht mehr, was ich gesagt habe. Plötzlich hab ich sie wieder vor mir gesehen, ich bekam weiche Knie, der Magen hat sich mir umgedreht… Wie sie da lag – ogottogottogott!»
    Sie sank wieder an Mrs. Eccles’ Schulter. «Na, na, meine Liebe», beruhigte die Köchin sie nicht ohne Genuss.
    «Mary ist verständlicherweise noch etwas durcheinander, Sir», erklärte der Butler. «Schließlich war sie es, die den grausigen Fund gemacht hat. Sie ist wie immer in die Bibliothek gegangen, um die Vorhänge aufzuziehen – und dabei wäre sie fast über die Tote gestolpert.»
    «Wollen Sie damit sagen», fragte Colonel Bantry, «dass eine Leiche in meiner Bibliothek liegt – in meiner Bibliothek?»
    Der Butler hüstelte. «Wenn Sie sich vielleicht selbst überzeugen möchten?»
     

III
     
    «Hallo, hallo, hier Polizeirevier. Ja, wer ist am Apparat?»
    Constable Palk hielt in der einen Hand den Hörer, mit der anderen knöpfte er sich den Uniformrock zu.
    «Ja, ja, Gossington Hall. Ja? Oh, guten Morgen, Sir.» Der Wachtmeister milderte seinen ungnädigen Amtston ein wenig, als er den großzügigen Förderer des Polizeisports und höchsten Beamten des Bezirks erkannte.
    «Ja, Sir? Was kann ich für Sie tun? Entschuldigen Sie, Sir, ich verstehe nicht ganz – eine Tote, sagen Sie? Ja? Ja, wenn ich bitten darf, Sir. In Ordnung, Sir. Ihnen unbekannte junge Frau, sagen Sie? – Ganz recht, Sir. Ja, ich kümmere mich darum.»
    Constable Palk legte den Hörer auf, stieß einen lang gezogenen Pfiff aus und wählte dann die Nummer seines Vorgesetzten.
    Mrs. Palk streckte den Kopf durch die Küchentür, und ein verlockender Duft nach gebratenem Speck zog ins Zimmer.
    «Was ist passiert?»
    «Total verrückte Sache. In Gossington Hall hat man die Leiche einer jungen Frau gefunden. In Colonel Bantrys Bibliothek.»
    «Ermordet?»
    «Erwürgt, sagt er.»
    «Und wer ist sie?»
    «Er sagt, er hat keine Ahnung.»
    «Was hatte sie dann in seiner Bibliothek zu suchen?»
    Der Wachtmeister brachte seine Frau mit einem vorwurfsvollen Blick zum Schweigen und schlug dann wieder seinen Amtston an.
    «Inspektor Slack? Hier Constable Palk. Soeben wird gemeldet, dass heute um sieben Uhr fünfzehn eine junge Frau tot aufgefunden wurde…»
     

IV
     
    Miss Marple kleidete sich gerade an, als das Telefon klingelte. Sie war ein wenig irritiert. Eine ungewöhnliche Zeit für einen Anruf. Ihr sittsames Altjungfernleben war so wohl geordnet, dass unerwartete Anrufe zu einem Quell lebhafter Mutmaßungen wurden.
    «Du meine Güte», sagte sie und fasste den klingelnden Apparat erstaunt ins Auge. «Wer kann das sein?»
    Nachbarliche Telefongespräche wurden im Dorf stets zwischen neun und halb zehn geführt. In dieser Zeit machte man Pläne
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