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Die Toechter der Kaelte

Die Toechter der Kaelte

Titel: Die Toechter der Kaelte
Autoren: Camilla Läckberg
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Familien, zwischen denen sie wie ein lebloses Paket herumgereicht worden war, hatten sie ebenfalls im Stich gelassen, allein schon durch ihr mangelndes Interesse.
    Als sie Mutter im Gefängnis von Hinseberg besuchte hatte, war sie bereits entschlossen. Sie würde sich ein neues Leben schaffen, eins, in dem sie selbst die Zügel in der Hand hielt. Der erste Schritt bestand darin, ihren Namen zu ändern. Den Namen, der wie Gift über die Lippen ihrer Mutter geträufelt war, wollte sie nie wieder hören. »Mary. Maaaryyy.« Wenn sie unten im Keller saß, hallte der Name in der Dunkelheit von den Wänden wider, und dann krümmte sie sich zusammen, bis sie winzig klein war.
    Den Namen Lilian hatte sie sich ausgesucht, weil er so anders klang als Mary. Und weil er sich nach einer Blume anhörte, ätherisch und zerbrechlich, aber zugleich stark und geschmeidig.
    Sie hatte auch hart daran gearbeitet, ihr Äußeres zu verändern. Mit militärischer Disziplin hatte sie sich all die leckeren Sachen verboten, die sie früher in sich hineingestopft hatte, und mit überraschender Geschwindigkeit purzelten die Kilos, bis ihre Fettleibigkeit nur noch eine Erinnerung war. Und sie hatte sich nie wieder erlaubt, dick zu werden. Sorgfältig hatte sie darauf geachtet, kein Gramm zuzunehmen, und sie verachtete alle, die nicht dieselbe Stärke an den Tag legten, zum Beispiel ihre Tochter. Charlottes Übergewicht widerte sie an und erinnerte sie allzu sehr an eine Zeit, an die sie nicht zurückdenken wollte. Dieses Schlaffe, Hängende, Schwabblige weckte blinde Wut in ihr, und manchmal hatte sie den Drang bezwingen müssen, Charlotte das Fleisch vom Leibe zu reißen.
    Sie hatten sie höhnisch gefragt, ob sie nicht enttäuscht sei, weil Stig überlebt habe. Sie hatte ihnen keine Antwort gegeben. Wenn sie ehrlich sein sollte, wußte sie es selbst nicht. Es war ja nicht so, daß sie sich hingesetzt und Pläne geschmiedet hätte. Vielmehr hatte es sich ganz natürlich ergeben. Und angefangen hatte es ja mit Lennart. Mit seinem Gerede, daß es wohl besser sei, wenn sie sich trennten. Nachdem Charlotte ausgezogen war, hatte er entdeckt, daß sie nicht mehr viel gemeinsam hatten. Sie wußte nicht, ob sie bereits bei seinen ersten Worten beschlossen hatte, daß er sterben mußte. Es war, als täte sie einfach, was getan werden mußte. Die Büchse mit dem Rattengift hatte sie schon gefunden, als sie das Haus kauften. Warum sie das Zeug damals nicht weggeworfen hatte, konnte sie nicht sagen. Vielleicht, weil sie wußte, daß es eines Tages zum Einsatz kommen würde.
    Lennart hatte niemals in seinem Leben etwas Übereiltes getan, also war ihr klar, daß es noch einige Zeit dauern würde, bis er sich zum Ausziehen entschloß. Sie hatte mit niedrigen Dosen begonnen, niedrig genug, daß er nicht unmittelbar daran starb, aber hoch genug, um ihn ziemlich krank zu machen. Allmählich war er immer schwächer geworden. Es hatte ihr gefallen, sich um ihn zu kümmern. Da war keine Rede mehr von Trennung. Statt dessen sah er sie dankbar an, wenn sie ihn fütterte, ihn umzog oder ihm den Schweiß von der Stirn tupfte.
    Manchmal hatte sie gespürt, wie sich das Monster unruhig bewegte. Ungeduldig.
    Merkwürdigerweise war sie aber nie auf den Gedanken gekommen, daß sie auffliegen könnte. Alles entwickelte sich so natürlich, und eins ergab sich aus dem anderen. Als man ihm diese Diagnose stellte, also Guillain-Barre-Syndrom, war ihr das nur als ein Beweis erschienen, daß alles so war, wie es sein sollte. Sie tat ja nur, was getan werden mußte.
    Zum Schluß verließ er sie dann doch. Aber zu ihren Bedingungen. Das Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte, hielt.
    Und dann lernte sie Stig kennen. Er war von Natur aus so treu, so vertrauensvoll, daß sie sicher war, er käme nie auf den Gedanken, sie zu verlassen. Er machte alles, was sie sagte, willigte sogar ein, mit ihr im selben Haus zu wohnen, in dem sie mit Lennart gelebt hatte, denn sie hatte ihm erklärt, wie wichtig das für sie sei. Es war ihr Haus. Erworben von dem Geld, das aus dem Verkauf des alten Hauses stammte, welches Mutter ihr hatte überschreiben müssen und in dem sie bis zur Hochzeit mit Lennart gewohnt hatte. Damals war sie zu ihrem großen Rummer gezwungen gewesen, es aufzugeben, weil in dem kleinen Haus einfach zu wenig Platz war. Aber sie hatte es stets bereut, und das Haus in Sälvik war für sie immer nur ein schlechter Ersatz gewesen. Aber wenigstens gehörte es ihr. Und das
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