Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toechter der Kaelte

Die Toechter der Kaelte

Titel: Die Toechter der Kaelte
Autoren: Camilla Läckberg
Vom Netzwerk:
Anders sich einige von ihnen für die Arbeit auswählen dürfen, und er hatte bereits früher bewiesen, daß er klug abzuwägen verstand, wer tüchtig war und wer das Geld besonders dringend brauchte.
    »Komm morgen runter ins Büro, dann reden wir über die Einzelheiten«, sagte der Meister und zwirbelte seinen Schnurrbart. »Der Architekt kommt nicht vor dem Frühling, aber wir haben die Zeichnungen erhalten und können mit der Grobplanung beginnen.«
    Anders verzog das Gesicht. Es würde sicher ein paar Stunden dauern, diese Zeichnungen durchzugehen, und das brachte eine weitere Unterbrechung der Arbeit, mit der er im Augenblick beschäftigt war. Er brauchte jetzt jedes einzelne Geldstück, denn die Bedingungen waren, daß die Arbeit am Stein im nachhinein bezahlt wurde, wenn alles erledigt war. Also mußte er sich an noch längere Arbeitstage gewöhnen, da er nebenbei versuchen würde, auch weiter Kriebelmücken zu schlagen. Aber die unfreiwillige Unterbrechung seiner Arbeit war nicht der einzige Grund, weshalb ihn der morgige Gang zum Büro nicht sonderlich freute. Irgendwie fühlte ersieh immerfehl am Platz, wenn er da hinkam. Die dort Tätigen hatten so weiche, weiße Hände, und sie bewegten sich so vorsichtig in ihren feinen Bürokleidern, während ersieh wie ein klobiger Trampel vorkam. Und obwohl er es mit der Sauberkeit sehr genau nahm, ließ sich nichts dagegen tun, daß sich der Dreck gleichsam in die Haut gefressen hatte. Aber was getan werden mußte, das mußte getan werden. Er würde sich dahin bequemen und die Sache hinter sich bringen, dann konnte er wieder zurück in den Steinbruch gehen, wo er sich zu Hause fühlte.
    »Dann sehen wir uns also morgen«, sagte der Meister und wippte auf den Füßen hin und her. »Gegen sieben. Komm pünktlich«, fügte er mahnend hinzu, und Anders nickte nur. Keine Gefahr. Eine solche Chance wurde einem nicht oft geboten.
    Mit neuem Elan kehrte er zu seiner Arbeit zurück. Die Freude ließ das Zerteilen des Steins zum Kinderspiel werden. Das Leben war gut.
     
    Sie wirbelte durch den Weltraum. Freier Fall zwischen Planeten und Himmelskörpern, die, als sie an ihnen vorbeifiel, ihren milden Lichtschein um sie ausbreiteten. Traumszenen vermischten sich mit kurzem Aufblinken der Wirklichkeit. In den Träumen sah sie Sara. Das Kind lächelte. Der kleine Babykörper war so perfekt gewesen. Alabasterweiß mit langen, empfindsamen Fingern an den winzigen Händen. Schon in den ersten Minuten ihres Lebens hatte sie nach Charlottes Zeigefinger gegriffen und ihn gepackt gehalten, als sei es das einzige, was sie in der neuen, erschreckenden Welt festhielt. Und vielleicht war es ja auch so. Denn der feste Griff um ihren Zeigefinger fühlte sich für Charlotte an wie ein noch viel festerer Griff um ihr Herz. Etwas, das zeitlebens so bleiben würde, wie sie bereits damals wußte.
    Jetzt kam sie an der Sonne vorbei, die auf ihrem Weg über das Himmelsgewölbe war, und ihr starker Schein erinnerte sie an die Farbe von Saras Haar. Rot wie Feuer. Rot wie der Teufel selbst, hatte jemand im Scherz gesagt, und sie wußte auch im Traum, daß sie den Scherz nicht gemocht hatte. Es war nichts Teuflisches an dem Kind, das in ihren Armen gelegen hatte. Nichts Teuflisches an dem roten Haar, das anfangs vom Kopf abstand wie bei einem Punker, mit den Jahren aber dicker und immer länger wurde und auf die Schultern herabfiel.
    Jetzt aber verdrängten die Alpträume sowohl das Gefühl der kleinen Finger um ihr Herz als auch den Anblick des roten Haares, das auf Saras schmale Schultern prallte, wenn sie herumsprang, voller Leben. Statt dessen sah sie das Haar dunkel vor Nässe um Saras Kopf treiben, wie ein mißgestalteter Heiligenschein. Es wogte hin und her, und unter ihm sah sie, wie sich lange grüne Seegrasarme streckten, um nach ihm zu greifen.
    Auch das Meer hatte Gefallen gefunden an dem roten Haar der Tochter und es für sich gefordert. Im Alptraum sah sie, wie das Alabasterweiß zu dunklem Blau und Lila wechselte und daß die Augen geschlossen waren und tot. Sacht, ganz sacht begann das Kind sich im Wasser zu drehen, die Zehen wiesen zum Himmel, und die Hände waren über dem Leib gefaltet. Dann nahm das Tempo immer mehr zu, und als sie so schnell herumwirbelte, daß sich auf dem grauen Wasser kleine Wellen bildeten, zogen sich die grünen Arme zurück. Das Kind schlug die Augen auf. Sie waren durch und durch weiß.
    Der Schrei, der sie weckte, schien aus einem tiefen Abgrund zu kommen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher