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Die Tochter der Dirne

Die Tochter der Dirne

Titel: Die Tochter der Dirne
Autoren: BLYTHE GIFFORD
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Überreste einzusammeln.
    Sie blickte zu Justin hinüber, der die Brauen hob und mit den Schultern zuckte. Auf Gloucester allein war sie vorbereitet gewesen. Doch wie es schien, vertrauten die Ratsmitglieder seinem Bericht nicht.
    Ein Fass Wein war umgeworfen worden, und rote Spritzer von Burgunder befleckten den Boden. Neben dem Geruch nach Wein lag auch der nach Angst in der Luft.
    Sie erhob sich, und Richard hinderte sie nicht daran. Die über den mageren Wangen tief liegenden Augen wirkten wie die eines gefangenen, zornigen Tieres. „Wie es scheint, hat sich eine Meute hier zusammengerottet, um mein Schicksal zu hören, Lady Solay.“
    „Ich werde immer das Gleiche sagen, Majestät, ob vor einer Meute oder vor Euch allein.“
    Er rührte sich nicht, aber die Königin bedeutete ihr mit einer Handbewegung fortzufahren.
    Sie warf einen Blick auf ihr lauerndes Publikum. Außer Gloucester und den ergrauten Earls of Arundel und Warwick entdeckte sie zu ihrer Überraschung Henry Bolingbroke und den jungen Earl of Nottingham, beide in Richards Alter. Wie die Dinge sich doch verändert hatten seit jenen verschneiten Tagen in seinem Schloss.
    Sie machte auf dem Tisch etwas Platz und schob zwei halb leere Weinkelche beiseite.
    „Wartet“, sagte Gloucester, ehe sie sich setzen konnte. „Ihr müsst schwören, dass Ihr die Sterne wahrheitsgemäß deutet.“
    Justin ergriff das Wort, ehe sie etwas erwidern konnte. „Gloucester …“
    „Ich fragte Lady Solay.“
    Sie lächelte Justin an und schüttelte den Kopf. Dies hier musste sie allein erledigen. „Um hierherzukommen, habe ich den Tod riskiert.“ Sie würde für sich die Wahrheit sagen, nicht um seinetwillen. „Für eine Lüge würde ich das nicht tun.“
    Und es war ihr egal, ob ihr außer Justin noch jemand glaubte.
    „Dann schwört beim Grab Eures Vaters, des Königs.“
    Sie spürte, wie Justin ihre Schulter drückte. Bedächtig hob sie die Hand, legte sie kurz auf seine Finger und berührte dann die Amethystbrosche, die sie über dem Herzen trug.
    „Ich schwöre beim Grab unseres verstorbenen und geliebten Königs Edward.“ Sie sah Gloucester an. „Euer Vater.“ Dann Richard. „Euer Großvater.“ Und endlich Justin. „Der Mann, der mich seine Tochter nannte.“
    Gloucester verzog den Mund, als wäre er nicht recht zufrieden, könnte aber nicht sagen, warum. „Fahrt fort.“
    Sie setzte sich an den Tisch. Justin schenkte einen Kelch voll Wein ein und stellte ihn neben ihre rechte Hand, dann trat er hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern.
    Zuerst wollte sie ihn abschütteln. Ihre Ehe war vorüber, sie musste allein weitermachen. Aber seine Wärme an ihrem Rücken bedeutete ihr Trost.
    Und sie ließ es zu.
    Während sie die Karte entfaltete, traten Gloucester und die anderen näher und spähten ihr über die Schultern, als könnten sie die sorgfältig beschrifteten Quadrate und Dreiecke verstehen.
    Sie räusperte sich, konzentrierte sich auf die Karten und ließ alles andere hinter sich. „Im zwölften Jahr der Regentschaft Seiner Majestät stehen weiterhin starke Planeten im zwölften Haus, dem Haus der Feinde.“
    Mit einem freudlosen Lachen sank Richard in seinem Stuhl zusammen und sah sich im Raum um. „Um das zu wissen, braucht Ihr nicht in die Sterne zu blicken. Seht Euch nur hier um.“
    „Wir sind keine Feinde des Königs“, sagte Gloucester und warf seinem Neffen einen finsteren Blick zu.
    Die Königin, die Richard beschützte wie eine Mutter ihr Kind, fuhr Gloucester an: „Wollt Ihr behaupten, Ihr seid seine Freunde?“
    „Wir sind Freunde des Reiches“, erwiderte Gloucester.
    „Dann gehört Ihr vielleicht“, fuhr Solay fort, „in das elfte Haus, das der Höflinge, Berater und Freunde, wahre und falsche.“ Mit zitternder Hand hob sie den Weinkelch und führte ihn an die Lippen. „Hier zeigen die Planeten Unterbrechungen, Veränderungen und sogar Dinge, die zu Ende gehen.“
    „Zu Ende gehen?“, fragte Richard. „Der Rat oder meine Berater?“
    Es war so still, dass sie hören konnte, wie Gloucester seinen Wein herunterschluckte.
    „Die Sterne tragen nicht die Namen von Menschen bei sich“, sagte sie und war diesmal erleichtert, die Wahrheit nicht zu kennen.
    Ruhig ging sie weiter die einzelnen Häuser durch, sprach von Reichtum und Besitztümern, von Brüdern und Vätern, von Krankheit und Gesundheit, Liebe und Heirat.
    Niemand äußerte mehr ein Wort, bis Gloucester sie schließlich unterbrach. „Was Ihr sagt,
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