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Die Tochter der Dirne

Die Tochter der Dirne

Titel: Die Tochter der Dirne
Autoren: BLYTHE GIFFORD
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öffnete Solay die Tür einem zitternden Jungen mit aufgesprungenen Lippen, dem die Nase lief und der kaum älter zu sein schien als Jane. Hatte der König keine erfahrenen Männer mehr?
    Ihre Mutter erwartete sie in der Halle, wo sie vor einem Kamin saß, der gähnend leer war, obwohl ein Weihnachtsscheit darin brennen sollte. Jane hielt ein Zündholz an einen ihrer kostbaren Reisige. Der Junge warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Feuer.
    „Der König befiehlt Lady Solay zu sich“, sagte er, als seine Zähne nicht mehr klapperten.
    „Wo ist der König?“, fragte Solay und fürchtete sich vor der Weihnachtszeit in Windsor.
    „In London.“
    Diese Antwort sagte ihr nicht viel. Hatten Hibernias Männer die Armee des Rates besiegt? Wo war dann Justin?
    „Ich hoffe, Seine Majestät befindet sich bei guter Gesundheit“, sprach ihre Mutter hoheitsvoll.
    Der Junge erbleichte. „Vor vierzehn Tagen wurde seine Armee besiegt.“
    Ihre Mutter unterdrückte einen Schrei.
    Solay empfand unendliche Erleichterung. Justin war auf der Seite der Sieger.
    Agnes dagegen nicht. „Wo ist der Duke of Hibernia?“
    Der Junge rückte ein wenig näher an das Feuer. „Das weiß niemand.“
    Sie faltete die Hände, neigte den Kopf zu einem stummen Gebet für Agnes und bat sie um Verzeihung. Ohne Solays heitere Versicherungen hätte die Freundin Hibernia nie geheiratet. Jetzt verfluchte sie Solay zweifellos für ihre falschen Vorhersagen einer glücklichen Zukunft.
    Nie wieder würde sie ihre Worte so leichtfertig wählen. Ihr Studium der Sterne war eine heilige Aufgabe geworden. Sie würde sie nicht durch eine Lüge entweihen.
    Ihre Mutter saß bleich und reglos und umklammerte dabei die Stuhllehnen. „Regiert der König noch?“
    Der Junge beugte sich vor und flüsterte, als lauerten Spione im Kamin. „Der König und seine Ratgeber haben sich im Tower eingeschlossen. Die Lords nähern sich der Stadt. Niemand weiß, was geschehen wird, wenn sie ankommen.“
    Die Lords hatten also triumphiert, und Richard wollte wissen, ob dies seine Todesstunde sein würde. Sie hatte den Herbst und den frühen Winter mit Justins Geschenk und der Karte des Königs verbracht. Sie wusste, was sie ihm sagen würde.
    „Jane, bei Tagesanbruch werde ich das Pferd benötigen.“
    „Musst du gehen?“ Janes Stimme klang angstvoll. „Du wirst St. Stephen’s Day verpassen. Wir hatten vor …“
    Die Mutter legte Jane eine Hand auf die Schulter. „Still, Kind. Es ist eine Ehre, dass der König sie rufen lässt.“
    Und nicht nur das. Es war der Preis für Justins Leben gewesen. Sie hoffte, dass er es noch besaß.
    Kleine Schneeflocken tanzten im Hof des Towers umher, als der Knappe Solays Pferd nahm.
    Es war Weihnachtszeit, und wieder war sie zum König gekommen.
    Sie hielt die gefaltete Karte fest unter ihrem Umhang und folgte einem Wachmann die Treppe hinauf und durch mehrere Gänge, ehe er vor einer verschlossenen Tür stehen blieb.
    „Wartet hier“, sagte der Wächter und klopfte. „Ich sage Bescheid, dass Ihr da seid.“
    Hinter der Tür hörte sie eine Stimme. „Kommt herein.“
    Die Hitze eines großen Feuers empfing sie, als sie die Tür öffnete. Ein breitschultriger Mann sah vom Fenster aus zu, wie der Schnee in die Themse fiel.
    Ihr stockte der Atem. „Justin?“
    Als er sich umdrehte, suchte sie in den Zügen eines Fremden nach dem Gemahl, den sie gekannt hatte. Scharf hoben sich die Wangenknochen von seinem hageren Gesicht ab, und die Schultern und Arme wirkten muskulöser denn je. Obwohl er Gewalt so hasste, hatte er offensichtlich ein Schwert geführt.
    Er machte einen Schritt auf sie zu.
    Auch sie ging ihm entgegen.
    Doch dann blieb er stehen. „Solay.“
    In der Art, wie er ihren Namen aussprach, schien eine Frage zu liegen, und sie sehnte sich danach, sie zu beantworten. Am liebsten hätte sie sich ihm in die Arme geworfen, hätte so getan, als wären sie noch immer auf dem Hügel in der Mittsommernacht und sähen zu, wie die Sonne über einer schönen neuen Welt aufging.
    Sie straffte die Schultern. Die Nähe, die sie im Sommer erlebt hatten, war weggeweht wie die Blätter von den jetzt kahlen Bäumen, die Tage der Liebe schienen nur noch eine Mittsommerfantasie zu sein. Jener Hügel schien Meilen und Monate weit weg zu sein, und sie hatte seine Liebe für sein Leben eingetauscht. Das würde ihr nicht verziehen werden.
    „Der König hat nach mir geschickt“, sagte sie.
    „Ich weiß. Ich wollte dich zuerst sehen.“
    Sie
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