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Die Tiefen deines Herzens

Die Tiefen deines Herzens

Titel: Die Tiefen deines Herzens
Autoren: Antje Szillat
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Weg zur Bibliothek machte, atmete ich auf. Der Flur dorthin war menschenleer. Anscheinend würde ich wenigstens dort meine Ruhe haben. Es kribbelte leicht in meinem Bauch, als ich die Hand auf die Türklinke legte.
    Ich stutzte und rüttelte heftig an der Klinke. Die Tür war verschlossen.
    Vor Enttäuschung zog sich mein Magen zusammen. Warum konnte ich dem ganzen Theater nicht wenigstens für ein paar Minuten entfliehen?
    Seufzend suchte ich die Tür nach den Öffnungszeiten ab. Schließlich entdeckte ich sie auf einem kleinen weißen Zettel, inmitten von Plakaten über anstehende Sportturniere, Infos zu AGs und Theateraufführungen.
    Wenn die Zeiten stimmten, musste die Bibliothek jetzt eigentlich geöffnet sein.
    »Und warum ist die Tür dann bitte schön verschlossen?!«, regte ich mich auf.
    Erneut griff ich nach der Klinke, um nach längerem wütendem Rütteln letztendlich doch einzusehen, dass die Tür sich nicht öffnen ließ.
    »Scheiße!«
    Am liebsten hätte ich gegen die Scheibe getreten. Meinen ganzen Frust an der doofen Tür abgelassen. Und vielleicht hätte ich genau das im nächsten Moment getan, wenn ich nicht plötzlich das Gefühl gehabt hätte, dass mich jemand beobachtete.
    Ich fuhr herum und blickte direkt in die braunen Augen eines großen dunkelhaarigen Jungen, der kaum älter zu sein schien als ich.
    »Geschlossen?«, fragte er.
    Ich nickte und machte einen Schritt zur Seite.
    »Typisch. Die Kauert ist mal wieder krank. Das geht jetzt schon ’ne halbe Ewigkeit so. Aber bis die sich mal um ’ne Vertretung kümmern … Da lassen sie die Bibliothek lieber wochenlang zu.«
    »Aha«, murmelte ich und musterte den Jungen dabei verstohlen. Seine etwas dunklere Hautfarbe und das halblange, leicht gelockte Haar gefielen mir.
    »Ich heiße übrigens Jérôme«, sagte er und sah mich an.
    Irgendetwas lag in seinem Blick, eine Offenheit und Intensität, die mich völlig unvorbereitet traf.
    »Ähm, hi … i-ich bin Anna«, stammelte ich.
    Jérôme hob die Hand, als ob er mir zuwinken wollte. »Hi, Anna!« Er grinste. Ein Grübchengrinsen. »Bist du neu an der Schule?«
    Ich nickte. »Seit heute.«
    »Verstehe«, erklärte er mitfühlend.
    Wir schwiegen eine Weile. Er schien darauf zu warten, dass ich noch etwas sagte, aber mir fiel beim besten Willen nicht ein, was ich Kluges oder Witziges von mir geben könnte. Alles, was ich zustande brachte, war ein peinliches Fiepen. »Alle starren mich an. Das nervt.«
    Zu allem Überfluss spürte ich, wie mir langsam die Röte den Hals hinauf ins Gesicht stieg, und ich wollte nur noch weg.
    Jérôme schien mir meine Verlegenheit nicht anzumerken oder er ignorierte sie einfach. »An welcher Schule warst du vorher?«, fragte er.
    Ich holte tief Luft und zwang mich zu einer betont lässigen Körperhaltung. »Auf dem Kippenberg-Gymnasium in Bremen.« Und weil sich das in meinen Ohren wirklich einigermaßen
normal
angehört hatte, fügte ich schnell hinzu: »Jetzt sind wir aber aufs Land gezogen und deshalb musste ich die Schule wechseln.«
    Jérôme grinste. »Echt? Ich bin auch ’ne Weile in Bremen zur Schule gegangen.«
    »Ach so.«
    Ach so?
Geht’s noch? Was für einen Schwachsinn laberst du da eigentlich?
    Erneut entstand eine Pause zwischen uns. Ich gab vor, interessiert die Bilder an den Wänden zu betrachten, während Jérôme mit der Spitze seines linken Schuhs einen imaginären Stein hin und her rollte.
    Schließlich räusperte er sich, nickte mir kurz zu und sagte: »Dann mach’s mal gut. Vielleicht sieht man sich ja bei Gelegenheit.«
    »Ja, vielleicht«, bemühte ich mich, ebenso unverbindlich zu antworten.
    Geschafft! In letzter Sekunde erreichte ich den Schulbus. Ich hatte meinen ersten Tag an der neuen Schule hinter mich gebracht. Keuchend kramte ich meine Monatsfahrkarte aus dem Rucksack und zeigte sie dem Busfahrer. Der warf einen kurzen Blick darauf und nickte. Dann schaute er wieder nach vorn, startete den Motor und fuhr los.
    Schwankend bahnte ich mir einen Weg durch den schmalen Gang und ließ mich auf den erstbesten freien Platz sinken.
    »Puh, das war knapp«, sagte ich zu mir selbst.
    »Hi, Anna«, hörte ich plötzlich jemanden neben mir sagen.
    Ich wandte erstaunt den Kopf und blickte zum zweiten Mal an diesem Tag in Jérômes grinsendes Gesicht.
    »Oh, hi!«, sagte ich und bekam wie auf Kommando feuchte Hände.
    Bitte nicht, Anna. Mach dich nicht schon wieder total lächerlich!, beschwor ich mich.
    »Wohin musst du?«, fragte
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