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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate
Autoren: Alex van Galen
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Danach zog sie einen Anzug aus dem Schrank, den sie in einem Online-Warenhaus für ihn gekauft hatte. Er war viel zu weit, weil Notovich sehr abgenommen hatte, aber er stand ihm gut. Linda strich über seine glatten Wangen und seufzte, was für ein hübscher Kerl er doch sei. Sie kämpfte auf einmal mit den Tränen. Er küßte sie und sagte leise: »Danke.« Sie errötete und begann aufgeregt zu plappern, bis ihr Handy klingelte.
    »Ja, Wim«, stöhnte sie. »Ich weiß, daß das Essen noch nicht fertig ist. Aber ich esse heute abend außer Haus, mit einem sehr attraktiven Mann. Schieb dir 'ne Pizza in die Mikrowelle.«
 
    Vor dem Eingang des Restaurants blieb Notovich stehen. Drinnen war es voll. Er war schon lange nicht mehr in einem Restaurant gewesen und hatte keine Ahnung, ob die Leute ihn erkennen würden, jetzt, da sein Bart ab war. Außerdem sah er Bröll nicht.
    »Ist auch schwierig bei jemandem, der mit dem Kopf nicht über den Tisch reicht«, fand Linda. Bröll maß tatsächlich nicht mehr als einen Meter sechzig. »Vielleicht sitzt er im Ballbecken und macht sich an jemanden in seiner Größe ran.«
    Sie schob ihren Bruder hinein. Bröll erwartete sie in einem engen, glänzenden Anzug mit schwarzem Hemd.
    »Maestro!«
    Notovich beugte sich vor, damit Bröll ihn umarmen und über seine glatten Wangen streichen konnte. Linda gab er brav die Hand. Das Licht und das Klirren von Besteck taten Notovich weh, als ob alles zu laut aufgedreht wäre. Bröll bestellte sich einen Whisky und fragte, was die anderen wünschten. Notovich wollte nur Wasser. Bröll kicherte angespannt und bestellte ihm übermütig einen Orangensaft, wobei er der Kellnerin verschwörerisch zuzwinkerte. Danach studierte er zehn Minuten lang schweigend die Speisekarte und orderte, ohne die Meinung seiner Gäste einzuholen, ein ausgiebiges Menü für alle drei.
    Dann erst kam er zur Sache. Er habe eine Plattenfirma dazu gebracht, eine CD mit älterem Material von Notovich zu veröffentlichen. Es gehe um eine drei Jahre alte Aufnahme mit Präludien von Rachmaninow. Er habe eine Beteiligung ausgehandelt, und zwar eine hohe; bei Vertragsunterzeichnung würden sie einen großzügigen Vorschuß empfangen.
    Als sie nicht sofort begeistert reagierten, fragte er, was an diesem Deal falsch sei.
    »Ich denke, Mikhael wird die Aufnahmen erst hören wollen, bevor er etwas dazu sagen kann«, meinte Linda.
    »Nun, dann fragen wir den Maestro selbst. Noto?«
    Notovich wußte genau, um welche Aufnahmen es sich handelte. Sie waren in Paris gemacht worden. Im Geist sah er Senna wieder im Studio sitzen und verträumt mitdirigieren. Später an jenem Abend waren sie schweigend an der Seine entlanggestreift, und er hatte Senna das Zigarrerauchen beigebracht. Die Plattenfirma wollte damals unbedingt, daß Notovich eine CD mit diesen Präludien aufnahm, obwohl er es nicht so damit hatte. Er tat, was sie verlangten, bat aber immer wieder, auch etwas von Liszt einspielen zu dürfen. Glücklicherweise gab die Plattenfirma im letzten Moment nach. Die CD mit Etüden von Liszt wurde ein Riesenerfolg. Und jetzt hatte jemand diese alten Rachmaninow-Aufnahmen wieder ausgegraben, wahrscheinlich auf Drängen von Bröll. Der war nämlich immer knapp bei Kasse, dank einer Reihe sorgfältig verschwiegener Süchte, die er einmal in einem Anflug seltener Offenherzigkeit (er war betrunken) sein »Glückspaket« genannt hatte: teure Kleidung, teures Essen, teure Frauen und dazu trinken, zocken und ab und zu eine Nase Koks. In willkürlicher Reihenfolge.
    »Ich weiß nicht«, sagte Notovich.
    Er hatte seit Ewigkeiten kein Klavier mehr angerührt, trotzdem gingen jeden Monat Schecks von seinen CD -Verkäufen ein. Je länger er von der Bühne weg war, desto spannender schien er in den Augen des Publikums zu werden. Sennas Verschwinden und Notovichs rätselhaftes Verhalten waren ein unerschöpflicher Quell von Tratsch, Gerüchten und Theorien. Im Internet erlangte er allmählich Kultstatus. Der Verkauf stieg immer weiter, aber Notovich wollte nichts davon wissen. Er beauftragte Linda, das ganze Geld für wohltätige Zwecke zu spenden. Sie sträubte sich zuerst, doch er war unerbittlich. Seine Musik hatte Senna in den Tod getrieben. Das stand für ihn fest. Es war Blutgeld.
    In regelmäßigen Abständen legte Linda ihm nun eine Liste von Hilfsorganisationen vor. Praktisch, wie sie war, ging sie systematisch heran. Sie überwiesen zunächst große Summen an die Nierenstiftung, die
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