Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens
Autoren: Paulus Hochgatterer
Vom Netzwerk:
Uniformierte, aus der Scheune gebracht hatte, und jagte sie mit der Stirnseite einer Axt in den Boden, einen nach dem anderen, insgesamt sechs Stück. Der Widerstand der gefrorenen Erde, die unter dem Schnee lag, war jeweils für zwei, drei Schläge zu spüren. Anschließend nahm er die Rolle mit dem gelben Absperrband und spannte es von Pflock zu Pflock, einmal rundherum, zweimal, dreimal. Am liebsten hätte er gar nicht mehr aufgehört und wäre weiter im Kreis gegangen, wieder und wieder, um die Angelegenheit zum Verschwinden zu bringen, die sich da inmitten der abgegrenzten Zone befand. So etwas wollte er nicht, da war er hundertprozentig sicher, ganz egal, was dahintersteckte. Mit prügelnden Ehemännern konnte er umgehen, mit dem Drogenhandel, der im Sommer an der Uferpromenade lief und im Winter in den Hinterzimmern eines bestimmten Hotels, mit dem illegalen Strich in der Walzwerksiedlung und damit, dass neuerdings selbst aus versperrten Garagen die Autos verschwanden. Auch die Messer und Schlagringe, die nachts dort und da aufblitzten, schreckten ihn nicht, und selbst als Clemens Weitbauer vor einem Jahr im Streit seinem Halbbruder die Schrotflinte an die Brust gesetzt und abgedrückt hatte, war er damit zurechtgekommen. Das hier wünschte er sich allerdings weg, weit weg, das spürte er mit der ganzen Kraft seiner dreiundfünfzig Jahre. Das hatte gar nichts zu tun mit dem Weihnachtsfrieden, der damit wohl eindeutig beim Teufel war, und auch nichts damit, dass er die gesamte Bande auf Urlaub gehen hatte lassen – Bitterle und Demski jedenfalls –, der alte Strack war seit Oktober im Pensionskrankenstand, und man konnte nicht behaupten, dass er irgendjemandem abgegangen wäre.
    Der kleine Schneemann mit der geringelten Mütze und das Schneetier, dem offenbar die Schnauzenspitze abgefallen war, standen außerhalb der Absperrung, so, als würden sie zuschauen. Kovacs stellte sich dazu. Er drückte Lipp die Bandrolle in die Hand. Sie hatten die Kamera vergessen. »Was halten Sie von einem Kriminalpolizisten, der keine Kamera dabei hat?«, fragte er. Lipp lief tatsächlich rot an. »Tut mir leid«, stammelte er, »ich hab auch nicht daran gedacht.« Lipp war nicht Demski. Demski war ansonsten immer da und dachte immer an alles, an Kameras, Diktiergeräte, Fixierlösungen, Glasgefäße, Reserveakkus, Handschellen und so fort. Jetzt war er auf Urlaub, Tauchen in Kenia, wenn Kovacs sich recht erinnerte. Demski schwamm zwischen Tigerhaien und Frau und Kind lagen vermutlich am Strand.
    »Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?«
    Lipp schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«
    »Ist Ihnen schlecht?«
    »Ich weiß nicht.«
    Lipp war knapp zwanzig, dünn wie nur was, und schnitt sich sein schwarzes Haar offenbar selbst. »Wenn Sie nicht wissen, ob Ihnen schlecht ist, nehmen Sie das Auto und treiben Sie irgendwo eine Kamera auf«, sagte Kovacs, »damit die Kollegen nachher nicht maulen.« Lipp stand kurz etwas unschlüssig da. Kovacs scheuchte ihn mit einer Handbewegung zum Wagen. »Ich fotografiere inzwischen mit dem Kopf.« Im Weggehen wandte sich Lipp noch einmal um. »Er liegt da wie ein Gekreuzigter«, sagte er. So ein Schwachsinn, dachte Kovacs.
    Es war kalt. Eine schmale Nebelbank hockte auf der Hügelkuppe hinter den Gebäuden. Kovacs hatte auch seine Handschuhe vergessen. Ich vergesse die Kamera, weil Demski nicht da ist, dachte er, und ich vergesse die Handschuhe, weil ich keine Frau mehr habe. Er bückte sich. Im Schnee lag etwas, eingefahren in die breite Reifenspur, die hier überall zu sehen war. Ein kleiner dunkelbrauner Stein, sonst nichts. Er steckte ihn ein.
    Wie hieß der Apostel, der angeblich mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden war? Petrus oder Andreas?
    Kovacs zwang sich, hinzuschauen. Der Körper des Mannes lag auf der schwach geneigten Auffahrtsrampe zur Scheune. Die Beine wiesen parallel nach oben zum Tor, die Arme waren zur Seite gestreckt. Der Nacken befand sich genau an der Stelle des unteren Knicks der Rampe, das hieß, der Kopf lag bereits im Flachen. Beziehungsweise, was da an der Stelle des Kopfes noch vorhanden war.
    Ein Scheinwerfer, dachte Kovacs, während er am Absperrband in die Hocke ging, ein Scheinwerfer wäre auch nicht schlecht. Die Kameras befanden sich im Materialdepot, die Scheinwerfer ebenfalls. Die Spurensicherung würde jede Menge Scheinwerfer dabeihaben, so viel stand fest. Kovacs sah auf die Uhr. Eine halbe Stunde noch, auf Grund des Nebels vielleicht ein wenig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher