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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel
Autoren: Charlotte Link
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kämpfen hatte, ehe er wieder sprechen konnte. Tina merkte, wie die blanke Wut in ihr aufstieg. Bornierter, alter Dickkopf, der ihr Vater war! Es hätte ihn nichts gekostet, Mario ein wenig entgegenzukommen.
    Erst nach dem versalzenen Hauptgang stellte Michael eine Frage an Mario. »Sie studieren Jura?«
    Marios Erleichterung war rührend. »Ja. Im vierten Semester.«
    »So. Welche Scheine?«
    »Äh... Strafrecht, beide. Den kleinen BGB hab’ ich gemacht, aber ich weiß noch nicht, ob ich ihn bestanden habe.«
    Michael zog die Augenbrauen hoch. »Das ist nicht viel. Öffentliches Recht ist wohl nicht gerade Ihre große Liebe?«
    »Nein«, sagte Mario tapfer.
    »Das ist doch völlig unwichtig«, mischte sich Tina ein. »Vater, Mario ist nicht gekommen, um sich examinieren zu lassen.«
    »Ich finde das Studium des jungen Mannes keineswegs unwichtig«, entgegnete Michael kühl. Abrupt wandte er sich wieder an Mario. »Waren Sie bei der Bundeswehr?«
    O Gott, dachte Tina.

    »Ich... nein...« antwortete Mario unsicher.
    Michaels Gesicht glich einer Maske aus Stein. »Verweigerer?«
    »Ich... ich habe in einem Altenheim meinen Ersatzdienst gemacht...«
    »Und das finde ich eine großartige Leistung«, sagte Tina schnell. »Alte Leute waschen und füttern und im Bett umdrehen... es wäre das letzte, was ich tun wollte!« Sie stand auf. »Ich hole den Nachtisch. Ich hoffe, ihr habt noch etwas Appetit!«
    Als sie draußen war, sagte Michael: »Sie wollen also mit meiner Tochter verreisen? Nach Südfrankreich?«
    »Ja. Meine Eltern besitzen ein Ferienhaus dort.«
    »Aha. Ihre Eltern sind mit dem Plan einverstanden?«
    »Ja.« Mario verschwieg, daß seine Mutter überhaupt nichts davon wußte. Es hätte sich nicht besonders gut gemacht, wenn er berichtet hätte, daß Janet im Augenblick in England untergetaucht war und ihre Familie völlig über ihren Aufenthaltsort im unklaren ließ. »Meine Eltern sind ganz froh, daß mal wieder einer von uns runterfährt. Wir waren seit sechs Jahren nicht mehr dort. Ein Mann aus dem Dorf kümmert sich um alles, aber es schadet sicher nicht, ihm hin und wieder auf die Finger zu schauen.«
    Michael stand auf, nahm eine flache Zigarrenkiste von einem Ecktisch. »Haben Sie Geschwister?«
    »Nein«, sagte Mario und errötete. Glücklicherweise sah ihn Michael nicht an.
    »Zigarre?« Er hielt ihm die Schachtel hin.
    »Danke.« Mario schüttelte den Kopf. »Ich rauche nicht.«
    Kommentarlos zündete sich Michael seine Zigarre an, ließ offen, ob er Mario das Nichtrauchen als Pluspunkt anrechnete.

    Vermutlich nicht, dachte Mario. Er war deprimiert und fühlte sich ungerecht behandelt. Er hatte sich weiß Gott nicht darum gerissen, mit Tina in die Ferien zu fahren, er hatte ihrem wochenlangen Drängen nachgegeben, und nun tat dieser Mann so, als wollte er seine Tochter entführen, verschleppen und was auch immer mit ihr anstellen. Warum mußte Tina diesen schwierigen, unleidlichen Vater haben?
    Aber dann dachte er, daß Tina so war, wie sie war, weil sie diesen Vater hatte. Er war verantwortlich für diese fühlbare Ausstrahlung von Unschuld, die Mario vom ersten Moment an zu ihr hingezogen hatte. In Tina hatte er sich verlieben können, weil sie anders war als alle anderen. In Marios Augen war sie vollkommen, aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß nichts im Leben ohne Haken zu haben war. In Tinas Fall bestand der Haken aus dem Zigarre rauchenden Kotzbrocken, der am Kopfende des Tisches thronte.
    Als Mario schließlich gegangen war, hatte Tina Kopfschmerzen und einen schlechten Geschmack im Mund. Laut scheppernd stellte sie die Teller zusammen, trug sie in die Küche, wo sich schon das übrige Geschirr stapelte, und fing an, mit wütenden Bewegungen die Spülmaschine einzuräumen. Als Michael in der Tür erschien, ging gerade ein Glas zu Bruch.
    »Hoppla!« Er zuckte zusammen. »Warum wirfst du die Sachen alle in die Maschine?«
    »Weil ich sauer bin, deshalb!« Tina angelte mit den Fingern zwischen den Spülkörben hindurch, um die Scherben zusammenzuklauben. »Du warst unmöglich, Vater. Du hast ihn entweder ignoriert oder ihn wie ein Stück Dreck behandelt. Du hast es darauf angelegt, ihn völlig zu verunsichern. Und es war geradezu peinlich, wie du ihn wegen seines Studiums ausgefragt hast!«

    »Ich habe ja wohl das Recht, alles über den Mann zu erfahren, der mit meiner gerade eben volljährigen Tochter in den Urlaub fahren will!«
    »Du sagst es. Volljährig. Ich bin erwachsen. Kannst
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