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Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Die Stunde der Seherin - Historischer Roman

Titel: Die Stunde der Seherin - Historischer Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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»Nial, warum bist du Mönch?« Schon so lange brannte ihr die Frage auf der Zunge – sie wollte ihm den Eid nicht glauben, nicht wenn er sie mit Flammen im Blick ansah. »Warum …«
    Es raschelte in den Blättern. Der culdee ließ alle Zurückhaltung und Vorsicht fahren und zog sie in die Arme, und seine Stimme war direkt an ihrem Ohr. Er fragte nicht einmal, was sie veranlasst hatte, ihr Schweigen zu brechen – vermutlich hatte er all die Tage nur darauf gewartet, ihre Stimme zu hören. Nun seufzte er ihren Namen und Worte, die sie nicht verstand, und sie musste ihn an ihre Frage erinnern.
    »Der Hochmut machte mich zum Mönch. Und nun macht er mich so klein vor dir …«
    »Warum – erzähl es mir, Nial. Ich muss es wissen«, flüsterte sie und schob ihre Hand durch alle Kleiderschichten, bis sie nackte Haut erreicht hatte. Sein Atem kam plötzlich stoßweise, und sie küsste ihn in den rechten Rhythmus zurück. »Erzähl es mir«, wiederholte sie, als er sich wieder erholt hatte. Sie wusste genau, was sie verlangte, sie badete ja im gleichen Feuer wie er, und es reute sie keinen Moment, sich dem hinzugeben. Aber vielleicht war dies die letzte Gelegenheit, seine Geschichte zu erfahren – den Mann zu erfahren …
    »Malcolm tötete unseren Vater«, flüsterte er mit gepresster Stimme, »wir waren junge Heißsporne, hatten unsere ersten Kämpfe hinter uns gebracht. Ich hab den Kampf geliebt, das musst du mir glauben.«
    »Ein Krieger also«, hauchte sie lächelnd, denn genau das lag da lockend unter ihr.
    »Malcolm zwang uns, Lulachs Söhne, sich ihm zu unterwerfen. Mein Bruder tat es. Er unterwarf sich dem König von Schottland, um das Land und den Titel behalten zu können. Ich … konnte das nicht. Ich hatte gesehen, was er mit Vater gemacht hatte. Ich konnte mich nicht unterwerfen.« Er fing ihre Hand ein, die sich zu vorwitzig unter die Kleider gewagt hatte. »Da zwang er mich, entweder das Land für immer zu verlassen oder mich den Brüdern anzuschließen. Immerhin hatte ich … genug Schuld auf mich geladen …«
    »Du hast ihm die Verlobte genommen«, flüsterte sie.
    »Sie hat … ja. Bei Gott und allen Heiligen – verdammt, ja, und nicht nur sie.« Seine flinken Hände unter ihren Kleidern verrieten, dass er nichts verlernt hatte.
    »Und du wirst es wieder tun«, raunte sie an seinem Ohr, wohl wissend, dass ihre Erregung nichts mehr mit Gott zu tun hatte – und dass sie bei alldem keine Sünde fühlte. »Dann tu es jetzt, Nial. Tu ’ s …«
    Danach wohnte Friede in ihren Herzen. Wenn Máelsnechtai irgendetwas bemerkt hatte, so behielt er jeden Streit für sich, vielleicht aus Rücksicht auf Christina. In der nächsten Nacht lagen sie nur nebeneinander und fühlten seine eifersüchtigen Blicke, die alles vermuteten, aber nichts fanden. In Gedanken war sie wieder bei Nial unter der Decke, fühlte wieder keine Sünde bei dem, was sie da tat, hielt wieder ihren erregten Atem in strengem Zaum. Und wusste wieder, dass die kleinste falsche Bewegung ein Leben kosten würde – Nials Leben. Trotzdem fühlte Christina sich so entspannt wie schon sehr lange nicht mehr. Es war, als hätte sie kleine Wolken unter ihren Füßen, und der ewige Ton in ihrem Ohr, der sie begleitete, seit sie denken konnte, mal schrill und mal sanft … der war verschwunden.
    Die Kunde ihrer Heimkehr eilte ihnen voraus, kaum dass sie das Nordufer des Forth betreten hatten. Und wie um ihnen die letzten Meter zu erleichtern, hatte die Sonne schon an den letzten Hängen Northumbrias alle Schneewolken weggeblasen und für ruhiges Winterwetter gesorgt. Die Schneedecke war auf ein erträgliches Maß geschrumpft, niemand musste frierend in Schneewehen versinken, und zumindest im Reich des Schotten schien die Welt in Ordnung zu sein. Ein Herold begleitete sie die letzte Wegstrecke, am Waldrand entlang über die Serpentinen hinauf zur Schlucht von Dunfermline, deren tiefe Düsternis ebenfalls von Schnee bedeckt war und nicht mehr an den Schlund der Hölle erinnerte. Der Herold plapperte unentwegt von den Neuigkeiten der letzten Tage, vom Eroberer, wie unverfroren er Weihnachten auf den Trümmern Yorkshires verbracht habe und was die Exilanten zu dessen bösartiger Eroberung Yorks gesagt hatten. Immer wieder umkreiste er dabei Christina und betrachtete sie neugierig von oben bis unten. Die Augen fielen ihm aus dem rothaarigen Kopf, als sie das Angebot einer Sänfte auch ein zweites Mal ablehnte.
    »Ihr seid wirklich ein stures Ding,
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