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Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)

Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)

Titel: Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
Autoren: Holm Friebe
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Rettungsmannschaften.“ Die Aufgabe der Selbstbestimmung des eigenen Schicksals erfordert Selbstüberwindung. Oft sind es deshalb nicht die gut durchtrainierten bärbeißigen Männer, die die besten Überlebensaussichten haben. Ihrer guten Konstitution kommen ihre Selbstüberschätzung, ihr überzogenes Selbstvertrauen und die Angst vor dem Eingeständnis des Scheiterns in die Quere.
    Kleine Kinder dagegen haben eine erstaunlich hohe Überlebensrate, wie Gonzales berichtet. Ihr Überlebensrezept liegt darin begründet, dass sie in ihrer Panikneigung mehr Steinen ähneln als erwachsenen Menschen: „Eindeutig haben Kleinkinder ein Geheimnis, das über Wissen und Erfahrung triumphiert. Wissenschaftler wissen nicht exakt, worin dieses Geheimnis besteht, aber es hat vermutlich mit den basalen kindlichen Verhaltensmustern zu tun. In dem Alter hat das Gehirn bestimmte Fähigkeiten einfach noch nicht ausgebildet. Zum Beispiel entwerfen Kleinkinder noch keine mentalen Landkarten. Sie verstehen nicht, was es bedeutet, zu einem bestimmten Ort zu reisen, also fliehen sie auch nicht zu einem Punkt außerhalb ihres Gesichtsfeldes. Außerdem folgen sie ihren Instinkten. Wenn es kalt wird, krabbeln sie in einen hohlen Baum, wo es wärmer ist. Wenn sie erschöpft sind, ruhen sie sich aus und vermeiden so Übermüdung. Wenn sie Durst haben, trinken sie. Sie versuchen, es sich komfortabel zu machen, und ihre Bequemlichkeit hält sie am Leben.“
    Auch die Zähigkeit und Gelassenheit des Alters kann sich positiv auswirken. Im Sommer 2012 berichteten Zeitungen über die wundersame Rettung eines 70-jährigen Mannes aus Bayern, der eine Woche lang in einer Tiroler Gletscherspalte überlebte. Die Tafel Schokolade aus dem Rucksack – sein einziger Proviant – habe er sofort rationiert und jeden Tag nur ein Stück gegessen. Ansonsten habe er gedöst und sich möglichst wenig bewegt, bis er nach sechs Tagen von anderen Bergsteigern entdeckt und geborgen wurde. Zwar betrug seine Körpertemperatur da nur noch 34 Grad, und die Nieren waren wegen des mineralisierten Gletscherwassers etwas überlastet, insgesamt aber beschrieben die Ärzte seinen Zustand als „sehr stabil“.
    Intuitiv hat dieser Mann eine Grundregel des Überlebens befolgt, die Gonzales in Deep Survival aufstellt: „Eine Survival-Situation ist eine tickende Uhr: Du hast nur soundso viel gespeicherte Energie (und Wasser), und jedes Mal, wenn Du Dich verausgabst, brauchst Du etwas davon auf. Der Trick besteht darin, extrem geizig mit seinen knappen Ressourcen umzugehen. Aufwand und Nutzen auszubalancieren und nur in die Unternehmungen zu investieren, die die größten Erträge versprechen.“
    Die erste wichtige Lektion der Stein-Strategie lautet somit: Wenn Du überleben willst, bleib, wo Du bist! Kontrolliere Deine Impulse, schone Deine Kräfte und teile Deine Ressourcen gut ein! Oder wie Gottfried Benn den Herrn von Ascot im Ptolemäer die ersten beiden seiner Lebensmaximen formulieren lässt: „1. Erkenne die Lage. 2. Rechne mit deinen Defekten. Gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen. (…)“
Staying put
    Nicht nur fürs nackte Überleben, auch fürs gute Leben ist Staying put ein tauglicher Ratschlag. Diesem Umstand spürt der Literat Scott Russel Sanders in seinem lyrischen, autobiographisch gefärbten Essay Staying put. Making a home in a restless world nach: Er sei „lost“ gewesen auf eine Art, „die keine Landkarte heilen konnte“, bevor er beschloss, „ein Sesshafter zu werden, einer der sein Stück Land kennt und wertschätzt.“ Denn, so Sanders’ Einsicht, „das Bestreben, in einer Familie und einer Gemeinde verwurzelt zu sein, ist untrennbar verbunden mit der Verwurzelung an einen Ort.“ Für einen US-Amerikaner ist das geradezu revolutionär, ist die Nationalgeschichte doch durchzogen von einem „vagabundischen Wind“, der rastlos an einem zerrt.
    Für uns Mitteleuropäer klingt es ein wenig altbacken, nach dem, was der Landfrauenverband seit eh und je propagiert: „Bleibe im Lande und nähre Dich redlich.“ Und: „Warum in die Ferne schweifen …?“ Natürlich sollten wir, mit einem Jugendbuchtitel von Joan Aiken, zunächst einmal das Meer satteln und den Sturm zügeln, bevor wir uns einen Platz in der Welt suchen. Aber Ziel sollte sein, diesen Platz irgendwann auch zu finden, um nicht ein Leben lang von den entfesselten Marktkräften bald hierhin, bald dorthin geworfen zu werden. Selbst ein rollender Stein muss
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