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Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)

Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)

Titel: Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
Autoren: Holm Friebe
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Beleg führt er in Antifragile eine Liste von Unternehmen an, die einmal ganz woanders gestartet als sie heute gelandet sind: „Coca-Cola begann als pharmazeutisches Produkt. Tiffany & Co., die Marke für Luxusschmuck, kam als Schreibwarenladen zur Welt. Das mag noch naheliegend erscheinen, aber wie sieht es hiermit aus: Raytheon, die das erste Raketensteuerungssystem gebaut haben, waren einmal eine Kühlschrankfirma (…). Noch krasser: Nokia, bis vor KurzemWeltmarktfühhrer bei Mobiltelefonen, begann als Papiermühle (zwischenzeitlich waren es mal Gummistiefel). DuPont, heute bekannt für Teflonbeschichtung in Pfannen, Arbeitsflächen aus Corian und das Hartplastik Kevlar, sind tatsächlich als Hersteller von Sprengstoff gestartet. Die Wurzeln des Kosmetik-Herstellers Avon liegen im Haustürverkauf von Druckerzeugnissen.“
    Solche Schwenks und Neupositionierungen – Taleb nennt sie „rational-opportunistische Business-Drift“ – plant kein noch so großer Visionär und heroischer Manager am Reißbrett. Sie sind das langfristige Resultat davon, dass Systeme aus Selbstschutz und Überlebenswillen auf eine sich wandelnde Umgebung reagieren und dabeiausreichend Beinfreiheit genießen, um immer wieder Standbein und Spielbein vertauschen zu können. „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ ist somit nur die eine Seite der Stein-Strategie. Die andere Seite klingt nach Zen-Weisheit, stammt in Wahrheit aber von Deng Xiaoping, der damit bildhaft die chinesische Reformpolitik nach 1978 ankündigte: „Nach den Steinen tastend den Fluss überqueren.“
    Ein Woody-Allen-Filmtitel übersetzt das prägnant in das Vokabular des westlichen Pragmatismus: Whatever works . Wir sollten mehr Respekt vor der Eigensinnigkeit von Systemen haben, denn sie wissen schon, was sie tun. Demut und Vorsicht sind dabei Eigenschaften, die wir uns gut bei den Steinen abschauen können. Sie kommandieren niemanden herum, sondern suchen sich und finden ihren Platz, indem sie in das System hineinhorchen, ihrer Eigengravitation folgen und sich den Kräften hingeben, die auf sie wirken. Alles rüttelt sich.
Laissez-passer
    Man kann gegen den Charismatiker und ehemaligen Brioni-Kanzler Gerhard Schröder sagen, was man will – wenn jemals ein Politiker die Lehren des „postheroischen Managements“ internalisiert und das mit der Eigenlogik von Systemen kapiert hat, dann war er das.
    Ein ehemals enger Mitarbeiter von Schröder, der mit ihm 1998 ins Kanzleramt eingezogen war, berichtete mir einmal – wir saßen nebeneinander im Flugzeug und kamen ins Gespräch – aus den Anfangstagen von Schröders Kanzlerschaft: Schröder und sein engster Mitarbeiterkreis flogen mit einem Regierungshubschrauber von Berlin zu einem Termin in Westdeutschland. Die niedrige Flughöhe eröffnete eine ungewohnte Perspektive auf die im Streiflicht der Abendsonne daliegende Landschaft. „Wisst ihr“, wandte sich Schröder irgendwann an die Begleiter, nachdem er eine Weile versonnen aus dem Fenster geschaut hatte, „dieses Land ist so groß – das regiert sich eigentlich wie von selbst“. Unter diesem heiter-pragmatischen Überbau stand die Anfangszeit der Schröder’schen Regierung, bis seine Mannschaft bald eines Besseren belehrt wurde und im Kosovo-Krieg harte Entscheidungen fällen musste. Da war die Zeit der leeren Seiten im Buch der deutschen Geschichte erst einmal vorbei.
    Dennoch lag Gerhard Schröder mit dem, was er später unvorsichtig als „Politik der ruhigen Hand“ ausgeben sollte, im Kern richtig. Auch Staaten und Gemeinwesen sind Öltanker, die sich nicht mit einem Reißschwenk nach links oder rechts steuern lassen.
    Zuletzt musste das der Sozialist François Hollande erfahren, als er, im Mai 2012 zum französischen Staatspräsidenten gewählt, als erste Amtshandlung eine Kampagne gegen die Reichen im Lande ritt. Sein in derSache vielleicht gar nicht einmal falscher Vorstoß, den Spitzensteuersatz auf 75 Prozent anzuheben, wurde ihm um die Ohren gehauen.
    Es muss im Gegenzug ja nicht gleich das gute alte Laissez-faire im neuzeitlichen Gewand neoliberaler Deregulierungspolitik sein. Glücklicherweise haben wir Lasalles Nachtwächterstaat weit hinter uns gelassen; ein komplexes Gemeinwesen, wie es eine moderne Industrienation nun einmal ist, braucht einen starken Staat mit Institutionen, die ihre Gestaltungsrolle wahrnehmen.
    Etwas mehr Laissez-passer, Dinge geschehen lassen, täte auf der Ebene exponierter Top-Politiker jedoch sehr gut. Dem
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