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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman
Autoren: A1 Verlag GmbH
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stabiler noch als die ägyptischen Pyramiden, selbst sie flatterten wie Luftpostpapier. Die katholischen Leidtragenden wurden von einer unverständlichen Kakophonie bombardiert. Wie unzivilisiert und vulgär das doch klang! Typisch für diese Hindus, zu so einem traurigen und tragischen Anlass ein Fest abzuhalten!
    Selbst die Hindu-Nachbarn verstanden kein Wort von dem, was der Priester da rezitierte, obwohl es ihre Muttersprache Marathi war. Der Mann kümmerte sich einen Dreck um die Bedeutung der Worte, um das Gefühl, das sie vermitteln sollten, um die Poesie der Sprache oder die Verschlungenheiten der Handlung. Weder verschwendete er einen Gedanken an irgendwelche metaphysischen Implikationen, noch hatte er die Zeit, diese in nachvollziehbare alltägliche Begriffe zu übersetzen. Er schob Wörter, Sätze, Absätze ineinander, während er durch ein Kapitel nach dem anderen hechelte. Seine Worte erbrachen sich förmlich in die Gegend, während er selbst fast an seinem atemlosen Sprachgewirr erstickte. Was dabei aus ihm herausbrach, waren gigantische Steinklötze und scharf scheppernde Splitter und Teile von eisernen Kolben, Brücken und Trägern.
    Der Brahmanenpriester übertrug seine Hektik auf Parvatis Kind, Ram. Das Baby geriet außer sich. Es plärrte und heulte, als ob das Gift eines Skorpions in seinen Adern pulsierte. Parvati-bai versuchte, ihn mit allerlei Mitteln zu besänftigen, mit Spielsachen, ihrer nie versiegenden Brustwarze und selbst mit dem Bananensirup, der eigentlich für den Gott Satyanarayana gedacht war. Der Junge begann bereits, auf Parvatis Sortiment von Bestechungsgaben anzusprechen und hatte sich fast schon beruhigt, als der Priester auf seine Armbanduhr sah und feststellte, dass ihm bis zum nächsten Termin – der erheblich luxuriöseren und einträglicheren Verlobung eines Brahmanenmädchens mit einem ebensolchen Jungen – nur noch siebenundzwanzig Minuten blieben. In der Eile goss er zu viel Ghee in die Flammen des improvisierten Backstein-Altars, und im Nu war alles zugequalmt.
    Das war’s. Parvatis Sohn bekam keine Luft mehr, er konnte seine Mutter nicht mehr sehen, und der Geruch des verbrennenden Ghee machte ihm zu schaffen. Er bekam es mit der Angst zu tun. Er rastete aus. Parvati nahm den Holzlöffel, mit dem sie den Weizengrieß in einem riesigen Topf gerührt hatte, und versohlte damit Ram den Hintern. „Was glaubst du wohl, für wen wir diese Satyanarayana- puja durchführen lassen, du dummes Balg? Was glaubst du wohl, was der Brahmanenpriester da an unserer Stelle tut? Willst du jetzt wohl augenblicklich mit dem Geplärre aufhören, oder soll ich dir das Nudelholz in den Hals stecken und dir das Maul ein für allemal stopfen?“
    Parvatis Sohn erfand eine völlig neue Oktave und brachte es fertig, selbst die Lautsprecherstimme zu überkreischen.
    â€žGestern bist du ohne einen Kratzer davongekommen, mein lieber Ravan, wenn ich aber jetzt höre, dass du hickst oder rülpst oder auch nur den leisesten Laut von dir gibst, dann schmeiße ich dich eigenhändig hinunter.“ Parvati packte den Jungen am rechten Bein, ging mit ihm ans Fenster und ließ ihn außen kopfunter baumeln. Die Augen sämtlicher Leidtragender auf der Straße richteten sich nach oben auf Parvati. Sie schüttelte den Jungen wie eine Rassel über der Menschenmenge.
    Victors Frau stöhnte auf. Ihre Wehen hatten eingesetzt. Zunächst knickten ihre Beine ein, dann klappte ihr Rumpf zusammen. Pater Agnello D’Souza beugte sich hinunter und hielt sein Ohr nahe an ihren Mund, um zu verstehen, was sie da murmelte. Aber sie hatte nichts Spezielles mitzuteilen. Mit einer übermenschlichen Anstrengung atmete sie einmal tief ein, deutete auf Parvatis Sohn und zerriss Pater Agnello das Trommelfell.
    â€žCain! Murderer!“

    â€žHab ich dich falsch verstanden? Du hast ihn doch nicht etwa Ravan genannt, oder?“, brüllte Parvatis Ehemann Shankar- rao gegen den Lärm in seiner Behausung an.
    â€žHab ich doch!“ Parvati wandte sich zu ihrem Mann, während ihr Sohn weiter aus dem Fenster hing.
    â€žNenn ihn ja nie wieder so, nicht mal im Scherz!“
    â€žVon heute an heißt er Ravan“, sagte Parvati in einem Ton, bei dem Shankar-rao begriff, dass sie an einem Wendepunkt im Leben ihres Kindes angelangt waren.
    â€žEr war Ram, seitdem er auf die Welt gekommen ist. Er wird
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