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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman
Autoren: A1 Verlag GmbH
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von der Schlange. Sie lächelte noch immer. Sie hatte Victors Gesicht.
    Violets Mutter stand auf, schloss die Heckklappe des Leichenwagens, kam zurück und schob die Glasscheibe auf, die den Fond von der Fahrerkabine trennte.
    â€žFahren Sie zum J.J. Hospital. Schnell!“
    â€žIch habe Anweisung, den Leichenwagen zum Friedhof zu fahren, Madam. Sonst nirgendwohin.“
    Violets Wehen kamen in immer rascherer, zuletzt pausenloser Folge. Sie drückte ihr Kreuz durch. Was immer in ihrem Bauch sein mochte, es befand sich in einem Zustand von Chaos und Aufruhr und schien sich nicht entscheiden zu können, ob es drinnen bleiben oder hervorbrechen wollte. Violet knirschte mit den Zähnen, ihre Nägel bohrten sich tief in Pater D’Souzas Arme und blieben dort stecken. Man hätte ihre Finger abschneiden müssen, um Pater D’Souza von ihr loszubekommen.
    â€žGedankt sei dir, oh Herr. Deine Weisheit und Gnade sind wahrhaft unendlich“, sagte er, während er langsam aus einem Nebel von stechendem Schmerz wieder auftauchte. „Tun Sie, was die Dame sagt“, befahl er dem Chauffeur in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Schnell. Die Dame bekommt ein Kind.“
    Der Leichenwagen erwachte augenblicklich zum Leben. In Indien haben die Menschen noch immer Respekt vor Leichenzügen. Sie sprangen aus dem Weg. Und das war gut so, denn der Chauffeur hätte sie sonst eiskalt über den Haufen gefahren. Es ging schließlich um ein Sakrileg. Sein Boss würde ihn sicherlich auf der Stelle feuern, wenn er erfahren sollte, dass der ehrwürdige Lieferwagen als Entbindungsstation zweckentfremdet worden war. Er überfuhr rote Ampeln, schlängelte sich durch den Verkehr. Die Passagiere wurden herumgeschleudert, und gelegentlich schien Victor seinem Sarg entsteigen zu wollen. Pater Agnello D’Souza starrte unverwandt aus dem Heckfenster. Ganz Bombay schien auf der Straße zu sein. In der Stadt herrschte eine festliche Stimmung. Das konnte doch unmöglich die Fortsetzung der Dankes-Puja für diesen Hindu-Jungen unterhalb von Victors Wohnung sein. Dann fiel es Pater D’Souza wieder ein. In all dem Trubel war ihm völlig entfallen, dass heute der erste Heiligabend in der unabhängigen indischen Republik war. Violet schrie. Violet keuchte. Violet kollabierte, aber er bekam nichts davon mit.
    â€žEs ist alles in Ordnung, Pater“, sagte Violets Mutter, als sie durch das Krankenhaustor sausten. „Violet hat einen Sohn bekommen.“
    â€žGepriesen sei der Herr.“
    Sie nannten den Neuankömmling Edward, aber nie wurde er so gerufen. Vom ersten Tag an hieß er Eddie.

18 Jahre später

1
    â€žSchluss mit der Gratisverpflegung, Ravan! Wer nichts verdient, kriegt nichts zu essen!“ Parvati-bai riss das Baumwolllaken weg, unter dem ihr Sohn lag. Was hatte seine Mutter, warum ließ sie ihn nicht schlafen? Es war gerade mal halb zehn, und er musste weder in die Schule noch sonst wohin. Und was soll das Gerede mit der Gratisverpflegung? Es war ihm neu, dass er all die Jahre was geschenkt bekommen hätte. War es nicht normal, dass Eltern ihre Kinder ernährten? Dass der Ernährer bei Ravan zu Hause nicht der übliche war, stand auf einem anderen Blatt. Sein Vater Shankar-rao stand so gut wie nie vor elf auf, legte sich gleich nach dem Frühstück wieder hin und verließ das Bett danach nur noch zu den Mahlzeiten, oder um die Abendzeitung zu holen.
    Wieso sagte seine Mutter nicht zu ihm: „Schluss mit der Gratisverpflegung! Wer nichts verdient, kriegt nichts zu essen?“
    Aber Parvati-bai war mit Ravan noch nicht fertig. „Mein Sohn wird kein Nichtsnutz! Lieber seh ich dich tot, als dass du wie dein Vater endest!“
    â€žAls er ein kleines Kind war, hast du versucht, ihn umzubringen. Und jetzt willst du ihn wieder töten!“, schnaubte Shankar-rao höhnisch, während er sich auf die Seite wälzte und seine Frau ansah. Parvati-bai zuckte zusammen; selbst nach all den Jahren gelang es ihm immer noch mit seiner Fähigkeit, die Tatsachen zu verdrehen, ihr den Mund zu stopfen und sie an ihrer empfindlichsten Stelle zu treffen. „Aber ich lass es nicht zu, dass du meinen Sohn anrührst, meinen Ram!“
    Ravan war seinem Vater dankbar, dass er ihn noch immer mit diesem Namen rief. Denn es war die Ironie seines Lebens, dass sein ursprünglicher Namenspatron nicht nur der Rechtschaffenste unter allen
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