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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt
Autoren: China Miéville
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Gleichgewicht der Kräfte zwischen den Städten und Ahndung würden davon nicht berührt. Sie haben nicht ganz Unrecht, meiner Meinung nach. Daraus folgt, dass Ahndung den Anspruch auf Bowden begründen muss.«
    »Niemand interessiert sich für Bowden«, antwortete er. »Nicht Ul Qoma, nicht Besźel, weder Kanada noch Orciny. Aber ja, wir werden dem Ausschuss einen förmlichen Bericht präsentieren. Möglicherweise hat Bowden, nachdem er Mahalia nach Besźel geschafft hatte, bei der Rückkehr nach Ul Qoma Grenzbruch begangen.«
    »Nicht er hat sie nach Besźel gebracht, das war Yor ...«
    »So muss es gewesen sein«, sprach Ashil ungerührt weiter. »Wir werden sehen. Vielleicht schieben wir ihn nach Besźel hinüber und ziehen ihn nach Ul Qoma zurück. Wenn wir sagen, er hat Grenzbruch begangen, hat er Grenzbruch begangen.« Ich schaute ihn an, ob ich mich verhört hatte, aber seine Miene war ernst und gelassen wie immer.
    Mahalia hatte Besźel verlassen. Ihr Leichnam war nach Hause überführt worden. Ich erfuhr es von Ashil an dem Tag, an dem ihre Eltern sie zu Grabe trugen.
    Sear and Core hatten sich nicht aus Besźel zurückgezogen. Nur keine unliebsame Aufmerksamkeit auf sich lenken nach den häppchenweisen, wirren Enthüllungen über Burics Machenschaften. Der Konzern und seine Forschungsabteilung waren im Zusammenhang damit erwähnt worden, aber der Verdacht ließ sich nicht erhärten. Burics möglicher Kontakt in der Firma war - leider! - unbekannt, man hatte Fehler begangen, würde dafür sorgen, dass dergleichen in der Zukunft nicht mehr vorkommt. Es ging das Gerücht, CorIntech stünde vor dem Verkauf.
    Ashil und ich fuhren mit Tram und Metro, mit dem Bus, dem Taxi, wir gingen zu Fuß. Unsere Spur lief wie eine Zickzacknaht von Besźel nach Ul Qoma, von Ul Qoma nach Besźel.
    »Was ist mit meinem Grenzbruch?«, stellte ich endlich die Frage, die mir seit Tagen auf der Zunge lag. Ich fragte nicht: Wann kann ich nach Hause gehen? Wir nahmen die Seilbahn zum höchsten Punkt des - in Besźel - nach ihr benannten Parks.
    »Hätte er einen aktuellen Stadtplan von Besźel gehabt, hättet ihr Mahalias Leiche nie gefunden«, bemerkte Ashil. »Orciny.« Er schüttelte den Kopf.
    »Ist dir aufgefallen, dass es im Grenzbruch keine Kinder gibt?«, erkundigte er sich aus heiterem Himmel. »Wie sollte das auch möglich sein. Würden hier Kinder geboren ...«
    »Es muss Kinder geben«, fiel ich ihm ins Wort, doch er überging meinen Einwurf.
    »... was für ein Dasein würden sie führen?« Ich vertiefte mich, statt ihn anzuschauen, in den Anblick des dramatischen Wolkentreibens am Himmel über den Städten und dachte an verstoßene Kinder. »Du weißt, wie ich zu Ahndung gekommen bin«, sagte er unvermittelt.
    »Wann kann ich nach Hause gehen?«, fragte ich, nur um gefragt zu haben, und entlockte ihm ein Lächeln.
    »Du hast dich der dir gestellten Aufgabe ehrenvoll entledigt. Du hattest Gelegenheit, unsere Arbeitsweise kennenzulernen. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es etwas, das mit unseren Städten vergleichbar wäre. Nicht wir sind es, nicht ausschließlich jedenfalls, die die Grenze zwischen ihnen aufrechterhalten, alle helfen mit, alle Bürger von Besźel und Ul Qoma. Jede Minute, Tag für Tag. Wir sind lediglich die letzte Instanz. Die Menschen in den Städten, jeder Einzelne, leisten den größten Teil der Arbeit. Weil alle daran glauben, weil niemand sich erlaubt zu zweifeln, deshalb funktioniert es. Wenn man aber Grenzbruch begeht, auch ohne es zu wollen, für länger als einen Augenblick, gibt es kein Zurück mehr.«
    »Unglücke, Verkehrsunfälle, Brände, versehentlicher Grenzbruch ...«
    »Ja. Natürlich. Wenn man nach einem Grenzbruch schnell genug die Flucht ergreift. Wenn du so reagierst, hast du vielleicht eine Chance. Aber selbst dann ist es schwierig. Und wenn es länger dauert als einen Augenblick, wird es nie wieder, wie es war. Du kannst nie wieder nichtsehen. Die meisten Menschen, die Grenzbruch begehen ... nun, du wirst bald alles über unsere Sanktionen erfahren. Doch es gibt eine andere Möglichkeit, sehr selten.
    Was weißt du über die Bräuche bei der British Navy?« Ich war verdutzt. »Vor ein paar Jahrhunderten?« Ich schaute ihn an. »Ich wurde zwangsrekrutiert, wie jeder andere im Grenzbruch. Keiner von uns ist hier geboren worden. Wir alle waren vorher woanders zu Hause. Wir alle haben irgendwann Grenzbruch begangen.«
    Ein langes Schweigen entstand zwischen uns. »Es gibt ein paar
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