Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
Das Universum.«
    »Das Universum ist verdammt groß«, sagte Louise.
    Laurentius nickte. »Will ich meinen. Nun, die Welt des Todes, das Jenseits, ist noch größer. Das beantwortet nicht deine Frage, wohin die Seelen der Toten die Reise fortsetzen würden, wenn sie sich nicht in einer der vielen Städte niederlassen. Aber es gibt dir zumindest eine Vorstellung von den zahlreichen Möglichkeiten.«
    »Aber wenn deine Vorgänger nicht gestorben sind …«, sagte Louise, als sie weitergingen, vorbei an den vielen Bildern, auf eine Tür am Ende des Flurs zu. »Was ist dann aus ihnen geworden?«
    »Ich nehme an, sie sind abberufen worden. Um ganz ehrlich zu sein, ich warte schon seit einer ganzen Weile darauf, etwas von ihnen zu hören. Eine Zeit lang mag es ja ganz interessant sein, die Maschine zu beaufsichtigen und die Entwicklung der Stadt zu beobachten, aber nach zehntausend Jahren wünscht man sich eine Abwechslung.«
    Louise hatte die Flasche an den Mund gesetzt und ließ sie wieder sinken. »Zehntausend Jahre?«
    »Ungefähr. Es können ein paar mehr oder weniger sein. Benjamin, mein Junge«, sagte Laurentius. »Warum so schweigsam? Bist du noch immer in deinen Gedanken gefangen?«
    »Du hast gesagt, Aufseher würden hier unten nicht sterben,
im Gegensatz zu Menschen«, kam es langsam von Benjamins Lippen. »Außerdem hast du von unterschiedlichen Anfängen gesprochen, und davon, dass bei uns – bei Louise und mir – alles mit dem Tod begann. Aber nicht bei dir. Du bist nicht als Toter hierhergekommen. Was bist du, Laurentius? Kein Mensch, nehme ich an.«
    »Oh, ich weiß selbst nicht, wer oder was ich bin. Vielleicht habe ich’s vergessen; nach so langer Zeit vergisst man das eine oder andere. Aber ich sehe wie ein Mensch aus, nicht wahr? Ein bisschen alt vielleicht, aber nicht zu klapprig.« Laurentius zwickte sich in den Arm. »Und ehrlich gesagt, ich fühle mich auch wie ein Mensch. Aber bin ich einer?« Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Sie haben mich hierhergebracht, und fragt mich nicht, wie meine Kindheit und Jugend verlaufen sind, denn es gab weder das eine noch das andere. Ich bin immer alt gewesen, zehn Jahrtausende lang. Meine Existenz begann als Aufseher, und vielleicht werde ich wie die anderen vor mir abberufen, wenn ich zu müde werde. Vielleicht erfahre ich dann, wer oder was ich bin.« Sie erreichten das Ende des Flurs. »Bis dahin bin ich Laurentius, manchmal ›der Alte‹ genannt, ein Sonderling in der Stadt und unter ihr der Aufseher der Maschine.«
    »Was ist mit den anderen Städten, die wir gesehen haben?«, fragte Benjamin, als Laurentius die Tür öffnen wollte. »Gibt es auch dort Aufseher und Jenseitsmaschinen?«
    »Vielleicht habt ihr Gelegenheit, das herauszufinden«, sagte Laurentius und zögerte. »Nun, ich finde die Fragen interessant, die ihr bisher nicht gestellt habt. Aber noch ist Zeit. Zunächst möchte ich euch die Maschine zeigen.«
    Er öffnete die Tür.

    »Jetzt sind wir nicht mehr im Innern des Turms, so viel steht fest«, hauchte Louise.
    Sie standen auf einer runden Plattform, mitten in einem riesigen, mindestens zweihundert Meter durchmessenden Saal. Ein schmaler Steg verband die Plattform mit dem Flur. Wohin man auch blickte, nach oben und unten, nach rechts und links: Überall bewegten sich kleine und große Zahnräder, die perfekt ineinandergriffen, ohne dass es irgendwo knirschte oder knackte. Ein leises Summen hing in der Luft, wie von einem fernen Bienenschwarm. Hier und dort drehten sich Wellen und Schwungscheiben zwischen den Zahnrädern, und an manchen Stellen ragten Objekte hervor, die Benjamin zunächst für Stangen oder Dornen hielt, bis ihm klarwurde, dass es sich um Hebel handelte. Er fragte sich, wie man sie betätigte, denn von der Plattform aus ließen sie sich nicht erreichen.
    Die Höhe des Saals konnte er nicht einmal abschätzen, denn das zwischen den Zahnrädern und Wellen schimmernde Licht reichte nur einige Hundert Meter weit nach oben, und Dunkelheit verbarg den Rest. Aus dieser Finsternis reichten fünf Pendel herab, etwa einen Meter dick und goldgelb, wie das Messing von Kowalskis Apparaten. Sie endeten in etwa doppelt so dicken, massiv wirkenden Kugeln und schwangen langsam, wie träge, von einer Seite des Saals zur anderen. Eins der fünf Pendel kam der Plattform dabei sehr nahe. Benjamin hörte ein dumpfes Brummen, als es vorbeischwang, und fühlte, wie ihm verdrängte Luft über die Wangen strich.
    »Das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher