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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Autoren: Mirko Kovac
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dass mich mindestens ein Familienzweig mit richtigen venezianischen Giftmischern verbindet, wären diese Schmähungen besser zu verdauen gewesen, und ich hätte sogar Anlass gehabt, sie fröhlich und übermütig zu kommentieren. Auch mein Onkel Blago, der sich seiner Herkunft so sehr schämte und sich lieber mit fremden Federn schmückte, als zu seiner wahren Herkunft zu stehen, hätte sich bestimmt viel lieber an die Giftmischer aus Venedig als an den Dubrovniker Arzt Baglivija gehalten.
    Nach der Entdeckung meiner venezianischen Vorfahren freundete ich mich gleich mit dem besagten Archivar an, der sofort anfing, sich intensiv mit Giften und Giftmischern zu beschäftigen. Er hat sogar später darüber einen Text geschrieben. Seinen Recherchen gemäß sind meine Vorfahren in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts aus Venedig nach Dubrovnik gekommen. Ihr Wissen vererbten sie von Generation zu Generation weiter. Sie eröffneten Apotheken und halfen Bedürftigen und Kranken. Von ihren guten Taten war die Serenissima aber alles andere als beeindruckt, und es hielt sie auch nicht davon ab, die Dienste meiner Vorfahren für sich und den Senat in Anspruch zu nehmen. Ohne mit der Wimper zu zucken, schalteten sie mit Hilfe der Giftmischer ihre politischen Gegner aus.
    Auf diese Weise kamen meine Vorfahren zu Adelstiteln und waren verpflichtet, das Geheimnis der Giftmischerei gut zu behüten. Manchmal verkauften sie aber ihre Formeln auch für bares Gold. Eine Regel befolgten sie eisern: Selbstmördern wurde nicht geholfen, sondern nur Fürsten, Agas und Paschas, und das immer nur über einen Vertrauensmann. Der Archivar ist der Meinung, das Gift sei in einem speziellen Kästchen aufbewahrt und mit drei Schlössern gesichert worden. Den einen Schlüssel bewahrte der Fürst auf; der zweite Schlüssel war beim Schatzmeister und Prokurator der heiligen Maria und der dritte befand sich beim Staatssekretär.
    Die Giftmischer betraten zum ersten Mal auf Einladung des Adels die gesellschaftliche Bühne. Fürsten und Senat erteilten ihnen den Auftrag, so heißt es, »die Giftschlange zu vergiften«. Gemeint war damit der bosnisch-herzegowinische Großherzog Radoslav Pavlović, der ihnen damit drohte, den südlich von Dubrovnik gelegenen Ort Konavle erneut militärisch anzugreifen, und das, obwohl ihm die Republik diesen gerade abgekauft hatte. Es gelang ihnen nicht, diesen barschen, berechnenden und mit allen Wassern gewaschenen Möchtegernhelden zu vergiften, obwohl sie es bis in sein Schloss in Trebinje geschafft hatten. Ihm hingegen glückte es, einen von ihnen für sich einzunehmen und in seinen Dienst zu bringen. Als Belohnung für seine Ergebenheit schenkte er ihm gutes und fruchtbares Land neben dem Fluss Trebišnjica, außerdem wurde ihm die Gespanschaft mit Sitz in L. überschrieben.
    Von diesem Verräter des Giftmischer-Clans stammt mein Vorfahre Nikola ab. Es ist einiges über ihn überliefert worden, und seine Biografie ist offenbar die einzige in unserer Familie, die in den mündlichen Erzählungen keinerlei Änderungen unterworfen wurde. Seinen Nachfahren schmeichelte es allem Anschein nach sehr, dass sie sich auf einen solchen Bösewicht im eigenen Stammbaum berufen konnten. Deshalb beließen sie es bei der Wahrheit. Vier Mal in seinem Leben wechselte er die Religion. Es war ihm völlig gleichgültig, ob er orthodox oder katholisch war, wichtig war ihm nur, dass er Christ blieb. Die erste Mühle auf der Trebišnjica gehörte ihm. Die Türken nahmen ihm zwei seiner Kinder weg und brachten sie nach Konstantinopel, aber es gelang ihnen nicht, ihn zu osmanisieren. Im Dubrovniker Stadtarchiv ist ein Dokument hinterlegt, aus dem hervorgeht, dass der Sekretär des Sultans im damaligen Protokoll Nikola einen eigensinnigen Lateiner genannt hat, der den Tod, mindestens eine Strafe oder aber auch Ruhm verdient hätte. »Niemand«, heißt es weiter im Protokoll, »kann ihm etwas anhaben, er ist aalglatt, klug und aufrührerisch.« Er heiratete zwei Mal, brachte aber beide Frauen unter die Erde. Er wurde Vater von vierzehn Kindern und erreichte ein hohes Alter. Als es mit ihm langsam zu Ende ging, legte er sich neben ein Feuerlager, warf sich eine Decke aus Ziegenhaar über den Leib und starb.
    Dieses Buch habe ich als Familienchronik begonnen. Ich weiß aber nicht, ob es das auch geblieben ist. Mehrere Male habe ich das Schreiben an diesem Manuskript abgebrochen. Recht besehen war ich dabei immer auf der Flucht vor diesem Buch und
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