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Die Stadt der Wahrheit

Die Stadt der Wahrheit

Titel: Die Stadt der Wahrheit
Autoren: James Morrow
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der Heilige Nikolaus, ins Zimmer gestapft kam und einen gewaltigen Sack hinter sich herzog, ein Ungetüm aus Segeltuch mit verlockenden Beulen und vielversprechenden Ausbuchtungen.
    »Hallo, Nikolaus.«
    »Sieh mal, Toby, das ist alles für dich!« Sebastian Arboria öffnete den Sack, und der gesamte Segen ergoß sich daraus, all das, was Anthony Raines anhand meiner Liste aus der Stadt der Wahrheit mitgebracht hatte: die Plüschgiraffe und der Clownroboter, die Schnarrtrommel und die Schlittschuhe, das Backgammon-Spiel und auch der Steve-Carlton-Baseballschläger.
    »Whao! O whao!« Tapfer zog sich Toby blinzelnd die Sauerstoffmaske vom Gesicht. »Für mich – das alles ist für mich?«
    »Alles für dich«, bestätigte Sebastian.
    Toby hielt seinen Plüschpavian über die Bettkante.
    »Schau mal, Barnabas. Schau, was wir bekommen haben.«
    Eine Abordnung von H.E.R.Z. erschien, ein Schwarm von Kobolden, Elfen, Gnomen und Wichteln schwirrten Kapriolen schlagend mit Eibischbüscheln und Mistelzweigen um Tobys Bett herum. Einer der Gehilfen des Nikolaus kam mit einer Krankenhaus-Rollbahre herein, auf dem ein Miniatur-Vergnügungspark thronte, ein Glücksland, das noch prächtiger war als jenes, das meine Nichte bekommen hatte, nachdem sie gebrannt worden war (Tobys war zusätzlich ausgestattet mit einem Ulkkabinett und einer Fallschirmsprungrampe sowie einem dampfbetriebenen Personenzug, der am Außenrand seine Runden drehte). Drei weitere Helfer trugen einen riesigen Baum herein – eine buschige schottische Kiefer, vollgehängt mit gläsernem Schmuck, funkelndem Flitterkram und verborgenen elektrischen Glühlämpchen –, der seine Nadeln überall verstreute.
    »Hallo, ihr alle – ich bin Toby«, murmelte er, während die Helfer ihm den kahlen Kopf tätschelten. »Ich hab die Xaviersche Seuche, aber ich werde nicht sterben. Kinder sterben nicht, hat Dr. Krakower gesagt.«
    »Natürlich wirst du nicht sterben«, sagte der Elf hinter der Rollbahre.
    Ein hochgewachsener Kobold, angetan mit einer Federkappe, einer Halskrause aus Eibischzweigen und einer Lederhose, kam auf mich zu. »Anthony Raines«, stellte er sich vor. Ich hatte mir sein Äußeres genauso vorgestellt, mit einer Abweichung: bar jeder Spur eines Schnauzbartes, war seine Oberlippe so haarlos wie ein empfindungsfähiger satirevianischer Stein. »Es ist eine Ehre, jemanden von solch spiritueller Intensität kennenzulernen wie Sie, Jack.«
    Ein Gnom schob einen Stecker in die Steckdose, und der Weihnachtsbaum leuchtete auf – ein freudvolles Strahlen, eine festliche Explosion, ein Feuerwerk an einem grünen Himmel. Während Toby in die Hände klatschte – eine Anstrengung, bei der er mühsam um Luft rang und sich vor Schmerz krümmte –, begannen die H.E.R.Z.-Mitglieder im Chor zu singen.
     
»O Toby, wie leid es uns tut,
zu hören, es geht dir nicht gut,
doch hiermit tun wir dir kund,
bald bist du wieder gesund,
denn du steckst voller Mut…«
     
    »Nikolaus, ich habe eine Frage«, sagte Toby.
    »Ja?«
    »Erinnerst du dich an… äh… an das Automatikpony?«
    »Automatikpony, was für ein Automatikpony?« fragte Sebastian mit gespielter Ahnungslosigkeit. Dann schlug er die Fäustlinge zusammen. »Ach ja – das Automatikpony.«
    Bei diesem Stichwort ritt eine schlanke Elfe auf einem wunderschönen kastanienbraunen Automatikpony in den Raum; sein Saumzeug schimmerte von aufgesetzten Rubinen, der Sattel war mit handgearbeiteten Silberintarsien verziert, eine Mähne aus echtem Pferdehaar wallte über seinen Hals.
    »Wie heißt es?« fragte Toby.
    Sebastian, Gott segne ihn, war auf die Frage vorbereitet. »Auf Nikolaus’ Automatikpony-Ranch haben wir es Schokolade genannt.«
    »Das ist ein komischer Name«, sagte Toby, während die Maschine sich nach vorn beugte und seine Wange beschnupperte. »Sieh mal, Dad, ich habe ein braunes Automatikpony mit dem Namen Schokolade.« Er hustete und fügte hinzu: »Eigentlich wollte ich ein schwarzes.«
    Ein scharfer Schmerz durchzuckte meinen Bauch. »Wie bitte? Schwarz?«
    »Schwarz.«
    »Du hast aber braun gesagt«, ächzte ich. Diese letzten Wochen – Tage, Stunden – mußten vollkommen sein. »Du hast ganz bestimmt braun gesagt.«
    »Ich habe es mir anders überlegt.«
    »Braun ist eine herrliche Farbe, Toby. Es ist eine ganz tolle Farbe.«
    Toby kämmte mit seinen bleistiftdünnen Fingern die Mähne des Ponys. »Ich glaube nicht, daß ich jetzt gleich schon auf ihm reiten werde.«
    »Sicher, Kumpel.«
    »Ich
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