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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
Autoren: Carrie Ryan
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dachten, wir würden nur ein kleines Stück weiterlaufen, nur noch um die nächste Ecke.
    Wir haben sie nie wiedergesehen. Wir haben uns verirrt, konnten denWeg zurück nicht finden – und sind hier gelandet.
    Im Laufe der Jahre habe ich auf ein Dutzend verschiedenerWeisen von ihr geträumt, aber ich kenne nur eineWahrheit: Ich habe meine Schwester weinend und inTodesangst mitten auf einem Pfad imWald zurückgelassen, weil ich egoistisch gewesen bin.
    Ich habe meine Schwester einmal verlassen, und noch einmal kann ich das nicht machen. Darüber, dass sie es wirklich ist, dass ihr nichts zugestoßen ist und dass sie fast zum Greifen nah ist, kann ich nicht hinweggehen.
    Ich kämpfe mich zurück zur Tür und trommele dagegen, aber ein R ekruter packt mich und verdreht mir schmerzhaft die Handgelenke, seine Finger bohren sich in meine Haut. »Falsche Richtung«, sagt er und schubst mich zurück in die Menge, die in der Schleuse auf das Läuten der Glocke wartet, mit dem sich die Tür zum Festland öffnet.
    »Ich muss zurück«, erwidere ich und versuche, meine Arme loszureißen.
    »Gegen die R egeln.« Er kneift die Augen zusammen. Sein Hemd ist schmutzig und stinkt nach Rauch und einem eklig süßen Parfum. »Es sei denn, du hast etwas zumTausch anzubieten.« Er zerrt mich näher heran, bis ich zu ihm aufschauen muss. Mein Haar fällt zurück.
    Als er meine Narben sieht, presst er die Lippen zusammen und lässt mich schließlich los.
    Unten auf der Brücke höre ich, wie die Glocken läuten und die Türen aufgehen, und ich weiß, dass sie sich weiter von mir entfernt. »Du musst mich durchlassen«, brülle ich ihn an.
    »Geh bis ans Ende der Schlange, dann kannst du zurückkommen. Hier geht es nur in eine Richtung: runter von der Insel«, knurrt er.Voll Abscheu starrt er meine Narben an. »So oder so, nicht stehen bleiben, weitergehen. Das ist die R egel.«
    Ich sehe, wie die Tür hinter ihm knirschend aufgeht, alte Zahnräder und rostiges Metall trennen mich von meiner Schwester. Er stößt mich weg, weg von ihr.Weg von den Neverlands und weiter hinaus über den Fluss auf das Festland zu.
    Um mich herum strömen Menschen, es ist schwer, in diesem dichten Gedränge zu atmen. Die Menge will nur auf die andere Seite, und ich gerate ihnen dabei in denWeg und mache Ärger.
    Ich ziehe Aufmerksamkeit auf mich, und das ist nicht gut . A ber ich will nicht aufgeben. Schon ist sie außer Sichtweite, vielleicht verliere ich sie erneut. Wahrscheinlich sieht der R ekruter die Entschlossenheit in meinem Blick, schon bevor ich mich in Bewegung setze, denn seine Muskeln spannen sich an. Ich will mich gerade auf ihn stürzen, will mich gerade durch die Tür kämpfen, da hören wir beide das wütende Knurren und Bellen von Hunden. Dann dröhnt explosionsartig der Alarm über die Brücke.
    Die Türen schließen sich, das schwere Metall klemmt die Finger einer Frau ein, die vor Schmerz aufheult. Der R ekruter vergisst mich und stürzt zu einer Strickleiter, über die er auf einen der Aussichtsposten klettert, die es auf jeder Mauer gibt.
    Um mich herum drängen sich die Leute unter lautem Schreien an die Seite der Brücke, sie wollen sehen, was den Alarm ausgelöst hat. Mit den Ellenbogen bahne ich mir in geduckter Haltung einenWeg durch die Menge, bis ich meinen Kopf durch eine Lücke im Geländer schieben kann. Das Gebell der Hunde, ein tiefes, wütendes Knurren untermalt das ohrenbetäubende Heulen der Sirenen.
    Es ist nahezu unmöglich, sich ein Bild von der Lage zu machen, aber es herrscht eindeutig Chaos an der Kontrollstelle auf der Inselseite der Brücke. Ein paar R ekruter gestikulieren wild, und ich beobachte, wie sie einen jungen Mann vor der Eisenwand, die die Küste der Insel umgibt, auf die Knie zwingen. Hunde gehen mit gesträubtem Fell auf ihn los.
    Er zieht etwas aus seinerTasche, eine Art Scheibe, die aussieht wie eine der alten Identifikationsmarken der R ekruter, und zeigt sie vor. Einer der Männer reißt sie ihm aus der Hand und runzelt die Stirn, dann verschwindet er damit imWachhaus. Der junge Mann kniet indessen mit erhobenen Händen da, so als wolle er dieWachen beschwichtigen, die ihre Messer aus den Gürteln ziehen. Die Hunde wittern die Infektion, sie werden ihn nicht auf die Insel lassen. Er ist zu gefährlich.
    Die Sirene schrillt, alle anderen Geräusche werden ausgeblendet, nur die Frau schreit noch, deren Finger gerade aus der Stahltür befreit werden . A lle um mich herum drängeln, alle wollen sehen,
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